Die deutsche Kanzlerin hat sich nun offen für den Europawahl-Sieger Juncker als neuen Kommissionspräsidenten ausgesprochen.
Nach scharfer Kritik an ihrem Zögern hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel klar für den Europawahl-Sieger Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsidenten ausgesprochen. Sie führe jetzt alle Gespräche "genau in diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte", sagte Merkel am Freitag auf dem deutschen Katholikentag in Regensburg.
Bisher hatte Merkel eine ausdrückliche Festlegung auf Juncker vermieden. Das war beim Koalitionspartner SPD, aber auch in ihren eigenen Reihen auf massive Kritik gestoßen. In Medien wurde Merkels Vorgehen sogar als "dumm" bezeichnet. "Gut, dass der öffentliche Druck Merkel zur Kurskorrektur gezwungen hat", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi in Berlin.
Konflikt auf Regierungschefebene
In der Europäischen Union steht nun ein Konflikt mit anderen Regierungschefs bevor. So gehört der britische Premier David Cameron zu den entschiedenen Gegnern Junckers, weil dieser für ihn einen zu großen Machtanspruch für Brüssel verkörpert. Der Brite steht nach dem Sieg der rechtspopulistischen UKIP bei der Europawahl in seinem Land unter großem Druck.
Merkel verteidigte ihr bisheriges Vorgehen. Sie habe zunächst mit den anderen Regierungschefs nach gemeinsamen Lösungen suchen und niemanden vor den Kopf stoßen wollen, sagte sie in Regensburg. "Das heißt ja nicht, dass man seine Position aufgibt."
Der Kanzlerin war Wählerbetrug vorgeworfen worden, weil im Wahlkampf betont worden war, dass einer der beiden europaweiten Spitzenkandidaten - Juncker oder der Sozialdemokrat Martin Schulz - auch Kommissionspräsident werde. Das EU-Parlament hatte sich am Dienstag mit großer Mehrheit für Juncker ausgesprochen. Auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) stellte sich hinter den luxemburgischen Ex-Premier und beklagte, dass dieser ausgerechnet von seinen Parteifreunden nicht voll unterstützt werde.
Personalpaket geplant
Die rechtsgerichteten Regierungschefs aus Großbritannien, Ungarn, Schweden und den Niederlanden hatten Bedenken gegen eine schnelle Festlegung auf Juncker geäußert. Die 28 Staats- und Regierungschefs setzten daher den Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy als Vermittler ein, um mit dem Europaparlament und den Hauptstädten zu verhandeln. Merkel erklärte, die Entscheidung könne nur im Rahmen eines Personalpakets und mit klaren politischen Zielen für die neue Kommission getroffen werden.
SPD-Generalsekretärin Fahimi begrüßte Merkels Festlegung am Freitag: "Alles andere wäre auch Wählertäuschung gewesen", sagte sie. SPD-Vize Ralf Stegner erklärte via Twitter: "Da hat sich Frau Merkel offenbar gehörig verzockt. Gut, daß sie, wenn auch spät eingesehen hat, daß Wählerbetrug nach Europawahl nicht geht!" Die CDU forderte die SPD auf, Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten zu unterstützen. Er rechne "nun mit den Stimmen aller SPD-Europaabgeordneten bei seiner Kandidatur", sagte Generalsekretär Peter Tauber.
Der EU-Kommissionspräsident ist nur einer von mehreren Spitzenposten auf EU-Ebene. Dazu gehören der EU-Ratsvorsitzende, der die EU-Gipfel leitet, der EU-Außenbeauftragte und möglicherweise auch ein hauptamtlicher Chef der Euro-Finanzminister.
Helle Thorning-Schmidt als "Gegengewicht"
Als mögliche EU-Ratspräsidentin wird weiterhin die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt genannt, obwohl sie entsprechende Ambitionen mehrmals kategorisch bestritten hatte. Als Frau, Sozialdemokratin und Politikerin aus einem Nicht-Euro-Land wäre sie aber ein geradezu perfektes "Gegengewicht" zum als zu integrationsfreundlich kritisierten "Mister Euro" Juncker.
Neuer EU-Außenbeauftragter könnte Gerüchten zufolge der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski werden, womit auch die neuen EU-Staaten bei der Postenverteilung berücksichtigt wären. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Martin Schulz, könnte entweder weiterhin EU-Parlamentspräsident bleiben oder Vizepräsident der EU-Kommission
Nächste absehbare Etappe im Postenpoker dürfte der Gipfel am 26. und 27. Juni sein. Das Parlament muss dem Kandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen. Das kann frühestens Mitte Juli passieren. Die Kommission ist die Brüsseler Machtzentrale, denn nur sie kann EU-Gesetze vorschlagen. Das Mandat von Behördenchef Jose Manuel Barroso aus Portugal läuft Ende Oktober aus. Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag die stärkste Kraft mit 213 Sitzen im Parlament. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze).