Großbritannien: Die Europäische Union im Out

London Mayor Boris Johnson speaks at a rally in west London
London Mayor Boris Johnson speaks at a rally in west London(c) REUTERS (SUZANNE PLUNKETT)
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Die britische Regierung will sich angesichts wirtschaftlicher Erholung und hoher Zuwanderungsraten aus der EU nicht mehr viel von Brüssel diktieren lassen. Auch nicht den neuen Kommissionschef.

London. Es gibt ein einziges Land, das aus der Statistik fällt: Großbritannien. Mit einem Wachstum von 3,2 Prozent (laut OECD) wird das Vereinigte Königreich in diesem Jahr die am schnellsten wachsende Wirtschaft der führenden Industrienationen aufweisen. Zugleich ist die Zahl der Arbeitslosen mit 2,16 Millionen auf den niedrigsten Stand seit mehr als fünf Jahren gefallen und allein seit Jahresbeginn wurden 345.000 neue Jobs geschaffen.

Da gleichzeitig in Euroländern wie Spanien, Griechenland und Portugal die Arbeitslosigkeit um die 25 Prozent und für Jugendliche teilweise bei über 50 Prozent liegt, ist es kein Wunder, dass nun Zehntausende in Großbritannien ihr Glück suchen. Nach den Polen stellten im Vorjahr die Spanier mit 51.730 Personen die stärkste Zuwanderergruppe. Überwiegend finden sie dauerhafte Jobs.

Die Presse

„Zu Hause sind wir eine verlorene Generation“, sagt der 27-jährige Carlos Hernandez Sonseca. Dass die britische Regierung ihr Versprechen, die Zuwanderung im Jahr unter 100.000 Menschen zu drücken, kläglich verfehlt, hat nichts mit ihrer Wohltätigkeit und Großzügigkeit gegenüber den Ärmsten dieser Welt zu tun, sondern vor allem mit dem enormen Zustrom aus der EU, von wo allein im Vorjahr 209.000 Menschen gekommen sind.

Angesichts der eigenen wirtschaftlichen Erholung und der Probleme in anderen Mitgliedstaaten sind britische Politiker aller Couleurs immer weniger bereit, Empfehlungen aus Brüssel anzunehmen. Als kürzlich die EU-Kommission (vollkommen berechtigt) vor einer Überhitzung des Immobilienmarktes in Großbritannien warnte und über Steuern für Superreiche nachdachte, ließ der Londoner Bürgermeister, Boris Johnson, den Brüsseler Bürokraten ausrichten, sie mögen sich (höflich übersetzt) „raushalten“.

Zugleich bemüht sich die britische Wirtschaft massiv darum, die Exporte aus der schwächelnden Eurozone in den boomenden asiatischen Raum zu verlagern: Die Ausfuhren in die EU legten im Vorjahr um 3,1 Prozent zu, in den Nicht-EU-Raum aber um mehr als 40 Prozent. Entsprechend wächst unter Politikern der Reflex, nationale Interessen über gemeinsame Ziele zu stellen, wie die zahlreichen Alleingänge für den Finanzplatz London zeigen.

Auch Labour gegen Juncker

Folglich gibt es in der Führungsebene der britischen Politik keine prononcierten Europäer mehr (mit Ausnahme der Liberaldemokraten, denen aber bei der nächsten Wahl die Auslöschung droht).

Insofern geht Premierminister David Cameron mit seinem Beharren gegen Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident ein viel geringeres Risiko ein, als man auf dem Kontinent oft glaubt: Auch die Labour Party ist gegen Juncker.

Der überwiegenden Mehrheit der Briten ist die Frage hingegen gleichgültig. Für London war die Union immer primär ein Klub der Staaten, und wie niemand anderer als Charles de Gaulle wusste: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2014)

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