Statt Kommissionsvize zu werden, soll der Spitzenkandidat nur EU-Parlamentspräsident bleiben.
Berlin. Spektakuläre Wende im Postenpoker um die neue EU-Kommission: Die deutschen Sozialdemokraten verzichten darauf, dass Martin Schulz den Posten eines deutschen Kommissars und Vizepräsidenten der EU-Kommission bekommt. Die einzige Gegenforderung, zumindest offiziell: Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten bei der Europawahl muss EU-Parlamentspräsident bleiben dürfen. Nur, wenn das schon vor der Kür von Jean-Claude Juncker feststeht, werde man den Konservativen als Kommissionspräsidenten akzeptieren – und damit für eine „starke Achse Juncker/Schulz“ sorgen.
Damit sind die kühnen Ambitionen des früheren Bürgermeisters von Würselen vorerst gestoppt. Am Mittwoch noch hatte Schulz forsch verkündet, dass er eine herausgehobene Rolle in der neuen Kommission beanspruche. Warum haben ihn die Seinen fallen gelassen? Gabriel dürfte schon seit Längerem klar gewesen sein, dass ein SPD-Kommissar aus Deutschland nicht durchsetzbar ist. Der Widerstand von CDU/CSU erwies sich als zu groß. Vor allem an der Unionsbasis wuchs der Unmut: Die Anhänger von Kanzlerin Merkel fühlen sich um ihren klaren Sieg bei der Bundestagswahl betrogen. Gabriel holte bei den Koalitionsverhandlungen mehr heraus, als es der SPD ihrem Wahlergebnis gemäß zustand. Seitdem dominieren die Sozialdemokraten die Regierungsarbeit. Mit ihren Initiativen, vom Mindestlohn bis zur Rente mit 63, treiben sie den großen Koalitionspartner vor sich her.
Hätten die Christdemokraten nun auch noch auf den Kommissar aus ihren Reihen verzichten sollen, wäre das Fass wohl übergelaufen. Üblicherweise stellt die stärkste Partei den Vertreter ihres Landes in Brüssel. Mit der Nominierung von Spitzenkandidaten verschaffte sich das Parlament eine neue Machtstellung bei der Kür des Kommissionspräsidenten. Dass damit aber der Zweitplatzierte das Recht auf den Posten des Stellvertreters hat, steht nirgends geschrieben. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2014)