Karas könnte Schulz folgen, ein Spanier Euro-Gruppen-Chef werden

Die Verhandlungen über die neuen EU-Spitzenposten lassen einige Überraschungen erwarten.

Brüssel/Wien. Domino ist ein Spiel, das alle EU-Politiker beherrschen sollten. Denn wenn sie ihre Pakete mit den Interessen von 28 Ländern und unterschiedlichen politischen Interessen schnüren, muss immer das eine mit dem anderen zusammenpassen. Wird diese Woche Jean-Claude Juncker aus einem kleinen Land als nächster Kommissionspräsident nominiert, so muss auch der eine oder andere EU-Spitzenposten an einen Kandidaten aus einem großen Land gehen. Wenn die Christdemokraten einen wichtigen Job erhalten, so dürfen auch die Sozialdemokraten nicht leer ausgehen. Sind viele Männer nominiert, muss auch eine Frau zum Zug kommen. Und passt das Ganze nicht zusammen, dann fällt möglicherweise wieder das gesamte Paket zusammen.

Derzeit zeichnet sich zumindest in Grundzügen ab, wie die Spitzenposten der EU künftig vergeben werden könnten. Sollte der Christdemokrat Juncker tatsächlich Kommissionspräsident werden, so würde der Sozialdemokrat Martin Schulz erneut Parlamentspräsident – allerdings nur für zweieinhalb Jahre. Danach soll ein Christdemokrat zum Zug kommen. Im Gespräch dafür ist Othmar Karas, der bisher Vizepräsident des Parlaments war. Karas wurde bereits als EVP-Kandidat ins Spiel gebracht, zog sich dann aber für die erste Periode freiwillig zurück, um den Deal mit Juncker und Schulz nicht zu gefährden. Wechselt der ÖVP-Politiker nicht in die Kommission, so stehen die Chancen gut, dass ihn die Europäische Volkspartei für eine zweieinhalbjährige Amtszeit ab 2016 als Parlamentspräsident nominiert. Karas hat parteiübergreifend einen Ruf als Vermittler und fairer Verhandler. Dies könnte ihm eine Mehrheit sichern.

In das Rennen um den neuen EU-Parlamentspräsidenten geht auch die grüne Europaabgeordnete, Ulrike Lunacek. Sie wurde bereits von ihrer Fraktion für dieses Amt nominiert, hat allerdings derzeit wenig Chancen. Am Mittwoch wurde sie in die Fraktionssitzung der EVP eingeladen, um ihr Programm zu präsentieren. Sie steht auch den anderen Fraktionen Rede und Antwort.

Die Sozialdemokraten, die Juncker im Europaparlament ihre Stimme geben wollen, dürften als Gegenleistung auch den neuen EU-Beauftragten für die Außenpolitik erhalten oder den Posten des Ratspräsidenten. Als Außenbeauftragte ist die italienische Außenministerin, Federica Mogherini, im Gespräch. Ihre Nominierung wird durch Italiens Ministerpräsidenten, Matteo Renzi, forciert, der momentan als mächtigster sozialdemokratischer Regierungschef in der EU gilt.

Anders könnte die Bestellung für diesen wichtigen Posten ausgehen, würde die dänische Ministerpräsidentin, Helle Thorning-Schmidt, zur neuen Ratspräsidentin gewählt werden. Sie soll nach Meinung einiger Regierungschefs dem Belgier Herman Van Rompuy nachfolgen. Thorning-Schmidt ist so wie Mogherini Sozialdemokratin. Dass beide Spitzenposten – Außenbeauftragter und Ratspräsident – sowie der künftige Parlamentspräsident aus demselben politischen Lager kommen, gilt aber als unwahrscheinlich.

Sollte die Dänin Ratspräsidentin werden, könnte die Wahl des nächsten Außenbeauftragten deshalb auf den polnischen Außenminister, Radosław Sikorski, einen Liberalen, fallen. Sikorski hat sich für die Nachfolge von Katherine Ashton immer wieder in Stellung gebracht, würde sich jedoch auch mit einem wichtigen Ressort in der EU-Kommission zufriedengeben, heißt es derzeit aus Warschau. Klar ist, dass die osteuropäischen Länder darauf bestehen werden, dass zumindest einer der wichtigen EU-Jobs aus einem neuen EU-Land besetzt wird.

Vor diesem Hintergrund ist die bisherige bulgarische Kommissarin, Kristalina Georgiewa, nun als aussichtsreiche Kandidatin für den Posten der Außenbeauftragten ins Spiel gekommen. Sie hat bereits Erfahrungen in der Kommission gesammelt, in der sie dann Vizepräsidenin wäre, und sie hat noch dazu den Vorteil, dass sie keiner großen Parteienfamilie zuzuordnen ist. Sie wäre eine ideale Kompromisskandidatin und würde noch dazu den Frauenanteil unter den zu vergebenden Posten heben.

Damit nicht völlige Unordnung in die Postenbestellung kommt, will der noch amtierende Ratspräsident, Herman Van Rompuy, bei dem diese Woche anstehenden EU-Gipfel vorerst lediglich den neuen Kommissionspräsidenten nominieren.

Würde der nämlich gleich mit einem ganzen Personalpaket verknüpft, dann dürften die eineinhalb Tage an Verhandlungen zwischen den Staats- und Regierungschefs nicht ausreichen. Stattdessen plant Herman Van Rompuy dem Vernehmen nach im Juli einen weiteren EU-Gipfel, um den Rest der Jobs zu vergeben.

Politisch heikel und in der Balance zwischen Christdemokraten und Sozialdemokraten eine besondere Herausforderung wird die Bestellung des neuen Euro-Gruppen-Chefs. Denn die einen wollen ihn als Garanten eines fortgesetzten Sparkurses, die anderen als personellen Hebel für ein Aufweichen der strengen Haushaltsziele.

Logischer Nachfolger für den Niederländer Jeroen Dijsselbloem wäre eigentlich der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble (CDU). Er hat in Zeiten der Finanz- und Schuldenkrise gemeinsam mit dem damaligen Euro-Gruppen-Chef Juncker die Europäische Union aus einer ihrer größten Krisen gesteuert. Doch Schäuble ist für einige südeuropäische Regierungschefs unwählbar. Zu groß sind die Ängste vor einem deutschen Spardiktat an der Spitze der Euro-Finanzminister.

Den Posten allerdings einem sozialdemokratischen Politiker aus einem südeuropäischen Land zu überlassen ist wiederum für die deutsche Regierungschefin, Angela Merkel, unakzeptabel. Als Kompromiss könnte deshalb ein konservativer Kandidat aus einem der betroffenen Krisenländer zum Zug kommen. Hoch im Kurs ist derzeit der spanische Wirtschaftsminister, Luis de Guindos.

Der Finanzexperte aus dem Lager der Partido Popular saß bis 2008 im Vorstand der spanischen Tochter der Investmentbank Lehman Brothers und war danach für PricewaterhouseCoopers tätig. Er kennt die Nöte eines Krisenlands, aber auch die Rahmenbedingungen auf den Finanzmärkten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2014)

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