Was spricht für, was gegen Juncker

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Der Kandidat der Europäischen Volkspartei mag zwar kein Vorzugsschüler sein, doch für den Job des EU-Kommissionspräsidenten ist er aller Kritik zum Trotz gut geeignet.

Brüssel. Die einen sehen in ihm einen „zerknautschten Melancholiker“ („Die Zeit“), die anderen den „gefährlichsten Mann Europas“ („The Sun“), er gilt wahlweise als Auslaufmodell und als Zukunftshoffnung – selten hat eine Person so polarisiert wie Jean-Claude Juncker, der momentan die besten Chancen auf den Posten des Präsidenten der Europäischen Kommission hat. Läuft alles nach Plan, werden die Staats- und Regierungschefs der EU den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) bei ihrem Gipfeltreffen am Freitag auf den Schild heben – und zwar voraussichtlich in einer Kampfabstimmung und gegen den erklärten Willen des britischen Premierministers, David Cameron, der in dem Luxemburger einen unbelehrbaren EU-Zentralisten sieht, der durch die Hintertür einen europäischen Superstaat installieren möchte.

Höchste Zeit also, das Für und Wider abzuwägen und dem Anwärter auf den Brüsseler Spitzenposten ein Zeugnis auszustellen. Aller Kritik zum Trotz fällt dieses Zeugnis eindeutig positiv aus – auch wenn Juncker kein Vorzugsschüler sein mag.

Ein Mann von gestern?

Das Hauptargument der Juncker-Gegner, er hätte beim EU-Zirkus zu lange mitgemacht und sei folglich ein Mann von gestern, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Rohrkrepierer. Es stimmt, dass Juncker ein absoluter Brüsseler Insider ist – doch genau das ist seine Stärke. Trotz eines relativ geringen Alters (er ist erst 59 und damit zwei Jahre jünger als Wladimir Putin, das Paradebeispiel eines medial optimierten politischen „Zupackers“) kann Juncker auf eine zwanzigjährige Karriere auf der europäischen Bühne zurückblicken – unter anderem als Chef der Euro-Gruppe auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise, als es darum ging, die Einheitswährung zu retten und die Interessen der Schuldner und Gläubiger auszutarieren. Angesichts der Tatsache, dass die Union mittlerweile 28 Mitglieder zählt, sind Junckers Konsensfähigkeit und seine Kenntnis der Materie, des Prozedere und der handelnden Personen kein Nach-, sondern vielmehr ein ausgesprochener Vorteil.

Ein weiterer Vorteil ist seine Luxemburger Herkunft und die Tatsache, dass er sowohl Französisch als auch Deutsch fließend spricht. Denn eine der wichtigsten europapolitischen Aufgaben für die kommenden Jahre wird es sein, die Achse zwischen dem wirtschaftlich schwachbrüstigen Frankreich und dem ökonomischen Musterschüler Deutschland wieder zu stärken. Auch hier ist Fingerspitzengefühl angebracht, denn ohne Rückendeckung aus Paris hätte Berlin in der EU einen viel schwereren Stand. Juncker hat wohl die besten Chancen darauf, einen Mittelweg zwischen deutschen und französischen Interessen zu finden.

Das gilt auch für die Eurozone, deren Reparaturbedarf unbestritten ist. Als einer der Geburtshelfer der Einheitswährung (er war von 1989 bis 1995 Finanzminister Luxemburgs) ist Juncker dazu prädestiniert, jene prozedurale Konsolidierung – Stichwort Bankenunion – voranzutreiben, die sich selbst die EU-kritischen Briten wünschen.

Cognac als schwaches Argument

Bleiben somit noch die von den britischen Boulevardmedien kolportierten Vorwürfe, Juncker sei desorganisiert und schaue zu tief in den Cognacschwenker. Mit dem Verweis auf die Tatsache, dass er seit drei Jahrzehnten im Politgeschäft gut unterwegs ist und soeben einen europaweiten Wahlkampf erfolgreich absolviert hat, lässt sich diese Kritik leicht entkräften.

Mehr Substanz hat das Argument, Juncker sei der Archetyp eines „alten“ Europäers aus dem Nukleus von Euratom und Montanunion, der die neuen EU-Mitglieder wenig beachte. In der Tat wurde Juncker in der Ära von Helmut Kohl und François Mitterrand politisch sozialisiert, als der Osten Europas noch vom Eisernen Vorhang verdeckt war. Ob er diese Sozialisierung überwinden konnte, wird sich an der Zusammensetzung seiner Kommission erkennen lassen.

Und in noch einem Bereich wirkt sich seine Herkunft nachteilig aus: Eine der Prioritäten der künftigen Kommission ist der Kampf gegen aggressive Steuervermeidung durch multinationale Konzerne, die Schlupflöcher in Steuerkodizes nutzen – auch in Luxemburg, wo Juncker in seiner Funktion als Finanzminister und Premier an dieser Entwicklung mitgewirkt hat. Als Kommissionspräsident müsste er nun seine Heimat – und sich selbst – an den Pranger stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2014)

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