„Dann sieht man ziemlich dumm aus“

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BELGIUM EU COUNCIL SUMMIT (c) APA/EPA/STEPHANIE LECOCQ
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Der britische Premierminister David Cameron ist nach der Bestellung von Jean-Claude Juncker beschädigt. Brüssel und London müssen aufeinander zugehen. Doch das wird schwierig.

London. Selten hat sich ein Regierungschef in eine derartig aussichtslose Lage manövriert wie der britische Premierminister David Cameron mit seinem Kreuzzug gegen die Bestellung von Jean-Claude Juncker zum neuen EU-Kommissionspräsidenten: Statt Verbündete zu suchen und tragfähige Allianzen zu schmieden, setzte Cameron auf Konfrontation. „Er verstand offenbar nicht, dass sein Ton und seine Drohungen es den anderen EU-Führern viel schwerer gemacht haben, ihn zu unterstützen“, meint Simon Tilford vom Londoner Centre for European Reform im Gespräch mit der „Presse“.

Damit wurde Juncker trotz weitgehender Vorbehalte durch Cameron sozusagen noch gefestigt: „Camerons Verhalten war enorm kontraproduktiv und hat den anderen in gewisser Hinsicht einen einfachen Ausweg geliefert.“ Statt auf Sachargumente, die man nachvollziehen hätte können, habe der britische Premier auf Kritik an der Person gesetzt: „Er spielte den Mann und nicht den Ball“, kritisiert Richard Whitman, Politikprofessor an der University of Kent.

Das Verhalten des britischen Premiers ist ebenso schwer zu verstehen wie die Gründe dafür. Tim Bale, Professor an der Queen Mary University of London, sieht ein ganzes Bündel an Motiven: „Erstens muss sich Cameron vor seinen EU-skeptischen Hinterbänklern als jemand zeigen, der einer Vertiefung der Union entgegentritt. Zweitens hält er Juncker für einen Föderalisten, während Cameron eine ganz andere Vision davon hat, wohin sich die EU entwickeln muss. Drittens hat er ursprünglich gedacht, er könne andere EU-Führer von seiner Sicht überzeugen. Viertens führt die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europaparlament weiter in Richtung Supranationalismus und damit weg von der von Großbritannien stets bevorzugten Regierungszusammenarbeit.“

Dennoch bleibt es rätselhaft, wie ein Politiker, der sich gerade seinen ideologiefreien Pragmatismus zugutehält („Es macht mich immer misstrauisch, wenn jemand mit großen Entwürfen kommt“), sich in eine derartige Sackgasse manövrieren konnte. Anhänger preisen seine Bereitschaft, Führung zu übernehmen. Gegner sehen einen Hang zur Selbstüberschätzung. Er geht hohes Risiko ein und polarisiert, wo andere Kompromisse bevorzugen würden: Ohne ihn gäbe es kein Schottland-Referendum, und auch über die EU-Mitgliedschaft seines Landes hat er eine Volksabstimmung bis Ende 2017 in Aussicht gestellt.

Cameron wird nachgesagt, nicht von übertriebenem Arbeitseifer getrieben zu sein. Die Syrien-Abstimmung im Vorjahr ging nicht wegen des Schwenks der Opposition in letzter Sekunde verloren, sondern weil der Premier keine Mühe dafür aufgewandt hatte, seine eigene Fraktion zu überzeugen.

Unter den Hinterbänklern hat der 47-jährige Tory-Politiker den Ruf eines arroganten, oberflächlichen und verwöhnten Jünglings aus besseren Kreisen. Mittlerweile hat er die Europaskeptiker in seiner Fraktion fürchten gelernt: „Er muss sich sorgen, dass eine Präsidentschaft Junckers es für ihn noch schwerer machen wird“, meint Tilford. Wenn sich jemand über das Debakel des Regierungschefs gefreut habe, dann seien es die EU-Gegner unter den Konservativen gewesen: „Für sie ist die Bestellung Junckers gegen den erklärten Willen unseres Premiers ein klares Zeichen dafür, was von Neuverhandlungen zwischen London und Brüssel zu erwarten sei“, so Tilford.

Austrittsstimmung gestärkt

Camerons angebliche Drohung, dass eine Wahl Junckers die Austrittsstimmung in Großbritannien stärken werde, waren keine leeren Worte. „Die anderen Führer unterschätzen, wie europakritisch die Stimmung ist“, warnt Bale, Nach einer Umfrage der „Financial Times“ sieht jeder zweite Brite den Kurs Camerons als Ausdruck nationaler Stärke.

Whitman meint zwar: „Wir gehen gern heroisch mit fliegenden Fahnen unter, und alle gegen einen, das ist ein Szenario, wie wir es lieben.“ Doch er räumt ein, dass Großbritannien nun völlig isoliert ist: „Wenn man den Macho spielt und dann nicht bekommt, was man wollte, sieht man ziemlich dumm aus.“ Wie es nun weitergehen kann? „Es ist alles total verfahren“, sagt Tilford. „Was wir jetzt brauchen, ist Schadensbegrenzung. Cameron muss sich einbringen, und Juncker muss eine Kompensation anbieten.“

Sind beide Seiten dazu bereit? „Das wird die große Herausforderung der nächsten Monate“, meint Whitman. „Für alle.“ Aus der Downing Street hieß es gestern erstmals: „Wir werden das Ergebnis respektieren und weiter mit allen zusammenarbeiten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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