Jean-Claude Juncker darf ans Werk schreiten

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BELGIUM EPP EU SUMMIT (c) APA/EPA/OLIVIER HOSLET
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Mit 26 zu zwei Stimmen nominieren die Staats- und Regierungschefs der EU den EVP-Spitzenkandidaten zum Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten.

Brüssel. Weißer Rauch über dem Ratsgebäude Justus Lipsius: Mit großer Mehrheit haben die Staats- und Regierungschefs der EU am Freitag Jean-Claude Juncker zum Kandidaten für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission nominiert. Gegen den luxemburgischen Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) stimmten nur zwei von 28 EU-Granden: David Cameron und Viktor Orbán.

"Schwarzer Tag für Europa"

Von einem "schwarzen Tag für Europa" sprach der britische Premier im Anschluss an das Treffen. Seine Aufgabe, Großbritannien in der EU zu halten, sei damit schwieriger geworden - doch der „Krieg" um die Zukunft der EU gehe weiter, auch wenn eine „Schlacht" nun verloren worden sei. Cameron will nun mit Juncker ein korrektes „Arbeitsverhältnis" herstellen. Zuversichtlich stimme ihn, dass der Rat für Juncker ein Arbeitsprogramm formuliert habe, das viele britische Forderungen enthalte - etwa die Eindämmung des „Sozialtourismus".

Mit Junckers Kür verlagert sich das Geschehen nun in die Hauptstädte. Denn die nächste Etappe am Weg ins Brüsseler Berlaymont-Gebäude ist die Auswahl der geeigneten Reisegefährten - sprich die Zusammensetzung der nächsten Kommission und das Führungspersonal in den anderen EU-Institutionen. Dabei muss Juncker dreidimensional denken und die geografische, politische und geschlechtsspezifische Zusammensetzung fixieren - und zwar so, dass sowohl Rat als auch Europaparlament mit dem Ergebnis zufrieden sind.

Die Ausgangssituation: Juncker ist Christdemokrat, und abgesehen von seinem Posten gibt es noch vier repräsentative Jobs in Brüssel: Präsident des Rats, Außenbeauftragter, Chef der Eurogruppe und Präsident des Europaparlaments. Letzterer ist schon vergeben, und zwar an den Sozialdemokraten Martin Schulz. Die sozialdemokratischen Regierungschefs haben bereits ihren Anspruch auf die Posten des Ratspräsidenten und des EU-Außenministers erhoben - eine Forderung, die von der EVP zurückgewiesen wurde. „Was wollen sie denn sonst noch alles haben?", sagte das Mitglied einer der EVP angehörigen Regierungsdelegation zur „Presse" und begründete seine Ablehnung mit zwei Faktoren: Erstens hätten die Sozialdemokraten die Europawahl eben nicht gewonnen, und zweitens hätten sie bereits einen Spitzenposten erhalten: und zwar den des Nato-Generalsekretärs, der an den Norweger Jens Stoltenberg ging. „Das war eine europäische Entscheidung, und sie wurde nicht vergessen."

Eine Besetzungsvariante, die in den Brüsseler Couloirs die Runde machte, lautet wie folgt: Der Job des EU-Außenbeauftragten geht an die italienische Sozialdemokratin Federica Mogherini, in die Präsidentschaftskanzlei des Rats zieht im Gegenzug die christdemokratische litauische Staatschefin Dalia Grybauskaitė ein. Diese Variante hätte zwei zusätzliche Vorteile: Sie würde erstens die EU-Mitglieder Osteuropas aufwerten und zweitens für eine Parität der Geschlechter sorgen. Dem Vernehmen nach machen sich vor allem die Deutschen dafür stark, dass Italien den Posten des Außenbeauftragten erhält. Es kursieren aber auch andere Varianten - etwa mit der Dänin Helle Thorning-Schmidt im Rat und der Bulgarin Kristalina Georgiewa im EU-Außenamt. Klar ist nur, dass das Personalpaket bis zum 16. Juli stehen muss - an diesem Tag sollen bei einem EU-Sondergipfel die restlichen Posten vergeben werden.

Inhaltliche Ausrichtung

Eine weitere offene Frage ist die inhaltliche Ausrichtung für die kommenden fünf Jahre - es gilt, die südeuropäischen Forderungen nach Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft mit dem britisch-nordischen Ruf nach Liberalisierung und Verschlankung der EU zu vereinbaren. Bei der im Rat postulierten flexiblen Handhabung der Defizitkriterien handelt es sich hauptsächlich um Kosmetik. Denn bereits jetzt wurde beispielsweise Frankreich mehr Zeit für die Budgetsanierung eingeräumt. Eine Aufweichung des Stabilitätspakts wird in Berlin ausgeschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2014)

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