Tour de Berlaymont: Jean-Claude Juncker sucht sein Team

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Der Kandidat für den Chefposten versucht, das EU-Parlament zufriedenzustellen. Juncker hat eine knappe Woche Zeit.

Brüssel. Es ist ein dreidimensionales Puzzlespiel, das dieser Tage in Brüssel zusammengesetzt wird. Das Gesamtkunstwerk trägt den Arbeitstitel „Juncker-Kommission“, und in der Bastelstube sitzt der luxemburgische Kandidat für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten, dessen Hauptaufgabe momentan die Komposition eines Teams ist, das sowohl parteipolitisch-inhaltlichen als auch geografischen und geschlechterspezifischen Kriterien genügen muss. Für die Fertigstellung hat Jean-Claude Juncker eine knappe Woche Zeit, denn am kommenden Dienstag soll der Christdemokrat im Straßburger Plenum des Europaparlaments zum Kommissionschef gewählt werden, während die Staats- und Regierungschefs der Union einen Tag später in Brüssel bei einem informellen Treffen die restlichen europäischen Spitzenposten untereinander ausschnapsen wollen. Zu sagen, dass die Zeit drängt, wäre wohl eine ziemliche Untertreibung.

Am Dienstag und Mittwoch weilte Juncker im Europaparlament, wo er von den politischen Fraktionen inhaltlich auf Herz und Nieren geprüft wurde. Da er als Sieger der Europawahl zum Zug kommt – eine europäische Novität –, hat er in den Augen der Abgeordneten eine „besondere Verpflichtung“ (EVP-Fraktionschef Manfred Weber, CSU) gegenüber dem Hohen Haus. Oder. um mit den an Juncker gerichteten Worten des Parlamentspräsidenten, Martin Schulz, zu sprechen: „Du bist der Mann des Parlaments.“ Nach dem Sieg über den Rat in der Frage der Nominierung des Spitzenkandidaten wollen die Abgeordneten der Kommission inhaltlich stärker den Kurs vorgeben, als das bisher der Fall war. Hinzu kommt, dass das Wahlergebnis eine informelle Große Koalition zwischen Wahlsieger EVP und den zweitplatzierten Sozialdemokraten unumgänglich macht.

Gleichung mit Unbekannten

Die Ausgangslage erfordert Kompromissbereitschaft – den Posten des Wirtschafts- und Währungskommissars hat Juncker bereits den Sozialdemokraten zugesagt, ebenso wie mehr „Flexibilität“ bei der Interpretation der Defizitregeln (ein Kernanliegen der sozialdemokratischen italienischen Regierung) – allerdings ohne eine Veränderung des EU-Stabilitätspakts, was wiederum für die EVP ausgeschlossen ist. Den Grünen sicherte er mehr Transparenz im Umgang mit Lobbyisten zu und den Liberalen mindestens neun weibliche EU-Kommissare.

Apropos weiblich: Die Frauenquote ist eine der vielen Unbekannten in Junckers Gleichung. Neun Posten in der Kommission würden der Frauenquote im EU-Parlament (knapp ein Drittel) entsprechen. Dem Vernehmen nach haben bis dato aber nur Griechenland, Schweden und Bulgarien Frauen ins Rennen um die Brüsseler Behörde geschickt. Bei dieser „Tour de Berlaymont“ mischen allerdings auch die Staats- und Regierungschefs mit. Die Entscheidung über den Posten des Außenbeauftragten der Union (der zugleich Vizepräsident der Kommission ist) dürfte erst beim Gipfel kommende Woche fallen. Gute Chancen hat momentan die italienische Außenministerin, Federica Mogherini, die angeblich mit deutscher Rückendeckung rechnen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2014)

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