Richtungsstreit um EU-Außenpolitik

U.S. Secretary of State Kerry talks to EU foreign policy chief Ashton during a NATO foreign ministers meeting in Brussels
U.S. Secretary of State Kerry talks to EU foreign policy chief Ashton during a NATO foreign ministers meeting in Brussels(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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Jean-Claude Juncker wünscht sich einen starken und erfahrenen Außenbeauftragten in seiner Kommission, für den Rat muss der oberste EU-Diplomat vor allem brav und pflegeleicht sein.

Brüssel. Stärke und Erfahrung – geht es nach den Vorstellungen von Jean-Claude Juncker, muss der Hohe Außenbeauftragte der EU diese zwei Eigenschaften aufweisen, um die Union auf dem internationalen Parkett effektiv vertreten zu können. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, will der designierte Präsident der EU-Kommission den Posten sogar aufwerten: Diejenigen Kommissare, die sich in der Brüsseler Behörde mit außenpolitischen Themen befassen, sollen dem künftigen Außenminister der Union unterstellt werden, kündigte Juncker am Dienstag im Europaparlament an. Ob der Luxemburger seinen Wunsch verwirklichen kann, wird sich allerdings noch weisen, denn Junckers Vorstellungen sind nicht unbedingt deckungsgleich mit jenen der Staats- und Regierungschefs der Union, denen die Nominierung des EU-Außenministers obliegt.

Im strukturellen Geflecht der EU nimmt der Hohe Außenbeauftragte als interinstitutionelles Zwitterwesen eine Sonderstellung ein. Einerseits ist er Mitglied der EU-Kommission und Stellvertreter des Kommissionspräsidenten, andererseits ist er als Vorsitzender des Außenministerrats im Gremium der EU-Mitgliedsländer verankert – ein heikler Balanceakt, dem ein Interessenkonflikt zugrunde liegt: Denn während die EU international an Statur gewinnen will, bleibt die Außenpolitik Domäne der Nationalregierungen – und vor allem die großen Mitgliedsländer wollen sich nur ungern von Brüssel ins Handwerk pfuschen lassen.

Niemand verkörpert diesen Widerspruch so gut wie die scheidende Außenbeauftragte Catherine Ashton, die den im Zuge des Reformprozesses von Lissabon 2009 geschaffenen Posten als Erste besetzt hat. Die Britin wurde nach langem Hin und Her als Konsenskandidatin quasi aus dem Hut gezaubert – eine überraschende Wahl angesichts der Tatsache, dass sie bis 2009 nichts mit Außenpolitik zu tun hatte. Das fiel aber nicht sonderlich auf, denn Ashton war die meiste Zeit damit beschäftigt, den ebenfalls neu geschaffenen Auswärtigen Dienst der Union aufzubauen. Erst im Lauf des vergangenen Jahres ist es ihr gelungen, Impulse zu setzen. Zu ihren Errungenschaften zählt etwa der Kompromiss zwischen den ehemaligen Kriegsparteien Serbien und Kosovo, der Belgrad einen Weg Richtung EU-Mitgliedschaft eröffnet hat, sowie die vermittelnde Tätigkeit im Atomstreit mit dem Iran.

Dezent im Hintergrund

Beide Erfolge machen deutlich, wo die außenpolitischen Stärken der EU und ihres Außenministers liegen könnten: Die Union ist nämlich dann besonders effektiv, wenn sie als unbeteiligter Dritter zwischen verfeindeten Lagern vermitteln kann. Werden hingegen die nationalen Interessen eines EU-Mitglieds berührt, ist es mit dem innereuropäischen Konsens vorbei– und der Außenbeauftragte wird auf den Sozius verwiesen. Genau dieses Muster konnte während der Ukraine-Krise beobachtet werden: Während die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens in Kiew den Abgang von Staatschef Viktor Janukowitsch einfädelten, blieb Ashton dezent im Hintergrund. Auch als die EU eine Antwort auf die russische Aggression suchte, waren die Hauptstädte tonangebend.

Geht es nach dem Willen des Rats, soll sich an dieser Rollenverteilung nichts ändern – darauf deuten die Namen potenzieller Kandidaten hin, die im Vorfeld des gestrigen nächtlichen Gipfeltreffens in Brüssel, bei dem (nach Redaktionsschluss) über die Postenvergabe beraten werden sollte, die Runde machten. Als Favoritinnen gehandelt wurden nämlich die italienische Außenministerin Federica Mogherini (41) sowie die bisherige bulgarische EU-Kommissarin und ehemalige Weltbankerin Kristalina Georgiewa (60). Die Italienerin gilt als wenig erfahren, die Bulgarin als kompetent, aber ohne politische Ambitionen – aus der Perspektive der EU-Hauptstädte ein evidenter Vorteil. Der künftige Kommissionspräsident Juncker mag sich Stärke und Erfahrung wünschen, für die Staats- und Regierungschefs aber muss der Außenbeauftragte vor allem brav und pflegeleicht sein.

AUF EINEN BLICK

Der Hohe Außenbeauftragte der EU ist ein interinstitutionelles Zwitterwesen: Er ist einerseits stellvertretender Präsident der Kommission, anderseits aber als Vorsitzender des Außenrats dem Gremium der EU-Mitglieder verpflichtet. Geschaffen wurde der Posten 2009 im Zuge des Reformprozesses von Lissabon. Die scheidende erste Amtsinhaberin, Catherine Ashton, war hauptsächlich mit dem Aufbau des Auswärtigen Dienstes der EU beschäftigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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