Biosprit für Europa: Eine Schnapsidee?

(c) Die Presse (Thomas Seifert)
  • Drucken

Die EU will große Mengen Agrar-Treibstoff importieren. Dagegen regt sich Widerstand: Doch es greift zu kurz, Bio-Ethanol als Hauptursache für Hungerkrise und Regenwald-Zerstörung zu brandmarken.

Lima/ Brüssel/ SÃo Paulo/ Wien.Brüssel – die europäische Hauptstadt der Lobbyisten – ist um ein Büro einer Industrie-Interessensvertretung reicher. Kürzlich eröffnete „Unica“, der Verband der Zuckerrohrindustrie Brasiliens eine Vertretung in der Hauptstadt der Europäischen Union. Offenbar keinen Tag zu früh, Ethanol aus Zuckerrohr ist dieser Tage ein heißes Thema in Brüssel. Und im Moment sieht es so aus, als wäre der Lobby-Aufwand in der EU eher gering – werden doch europäische Politiker derzeit in Brasilien vorstellig vorstellig, um die Potenziale von Biosprit als Ersatz für immer teurer werdendes Benzin und Diesel auszuloten.

Die EU will dafür sorgen, dass bis zum Jahr 2020 zehn Prozent des Tankinhalts von Europas Kraftfahrzeugen aus Biosprit bestehen. Doch woher nehmen?

Gerade hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Brasilien-Besuch (einige Tage nach Kanzler Alfred Gusenbauers Visite) ein Energieabkommen geschlossen. Darin ist vereinbart, dass Deutschland den Ausbau der Biosprit-Produktion in Lateinamerika fördern will. Merkel besuchte auch das VW-Werk in São Bernardo do Campo (in der Nähe von São Paulo), wo Volkswagen sogenannte „Flex-Fuel“-Autos herstellt, also Fahrzeuge, die mit einem Gemisch aus Benzin und Ethanol in jedem beliebigen Mischungsverhältnis betrieben werden können.

Biosprit (die Umweltorganisationen sprechen lieber von Agro-Sprit) wird auch die Tagesordnung auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel heute, Freitag, in der peruanischen Hauptstadt Lima beherrschen.

Am Gipfel sind heftige Kontroversen zu erwarten: Während Brasilien, der weltweit größte Exporteur von Ethanol, gerne größere Mengen an aus Zuckerrohr gewonnenem Sprit in die EU liefern will, klagen einige lateinamerikanische Präsidenten – etwa der links-bolivarische Venezolaner Hugo Chávez oder der Peruaner Alan García – über den Biosprit-Boom. So würden die Preise für Reis, Weizen und Mais in Lateinamerika steigen und Millionen von Menschen dadurch noch tiefer in die Armut getrieben. „Die Lebensmittelfrage wird eines der zentralen Punkte auf diesem Gipfel sein“, kündigte der peruanische Außenminister José Antonio García Belaúnde vor dem Beginn des Gipfels gegenüber der Nachrichtenagentur „Reuters“ an.

Kommt das Essen in den Tank?

Tatsächlich haben sich die Lebensmittelpreise seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt (siehe Grafik), doch der Faktor Biosprit-Produktion wird dabei vielfach überschätzt. Die Ursachen für die Preisexplosion sind vielfältiger: Finanzinvestoren spekulieren vermehrt auf Agrarprodukte, ein vermehrter Fleischkonsum, Ernteausfälle und ein Ausweichen der Bauern auf andere „cash-crops“ (Agrarprodukte, für die am Weltmarkt ein höherer Preis zu erzielen ist) führen zum Preisanstieg.

In Australien ist trotz der Verdopplung der Preise für Reis auf 650 Euro pro Tonne der Anbau von Weintrauben viel lohnender. Der Ertrag beträgt in Australien im Schnitt 524 Euro pro Hektar für Weintrauben, während sich mit Reis nur 62,8 Euro pro Hektar erzielen lassen. Die Reisproduktion allein in Australien ist aus diesem Grund – und einer Dürreperiode – in den vergangenen sechs Jahren um 98 Prozent gefallen. Australien war lange Zeit ein wichtiger Produzent, der den Bedarf von 20 Millionen Konsumenten stillen konnte, heute sind die Reisexporte Australiens irrelevant, die größte Reismühle auf der Südhalbkugel, die Denilquin-Mühle, wurde dichtgemacht.

Sorge um den Regenwald

Die EU fordert vom Biosprit-Produzenten Brasilien Garantien, dass das Ethanol aus umweltgerechter Produktion stammt. Umweltschutzorganisationen beklagen, dass durch den zusätzlichen Flächenbedarf Menschen in das Amazonasgebiet vertrieben werden und dort immer größere Tropenwald-Gebiete abgeholzt werden.

Doch den EU-Ländern mangelt es – trotz der Bedenken – an Alternativen. Sie wollen los vom Öl. Und Ethanol ist derzeit die einzig schnelle, praktikable Lösung.
Leitartikel Seite 39

LEXIKON

Biodiesel ist ein Kraftstoff, der aus Fetten oder Pflanzenölen gewonnen wird, z.B. Sojabohnen.

Ethanol ist ein Alkohol-Treibstoff, der meist aus Getreide oder Zuckerrohr gewonnen wird.

Energiebilanz. Zuckerrohr ist derzeit die Pflanze, aus der am effizientesten Treibstoff gewonnen werden kann. Das Verhältnis von nutzbare Energiemenge und der bei der Produktion eingesetzten Energie liegt bei 1:8. Mais eignet sich weit weniger. Hier liegt das Verhältnis bei 1:1,3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.