Ausblick: Ein kurzer, aber heißer EU-Sommer

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140715 STRASBOURG July 15 2014 Xinhua Jean Claude Juncker waits for the result of the el(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Die europapolitische Sommerpause wird heuer wegen der Ukraine-Krise und der offenen Personalfragen kürzer ausfallen als sonst – sofern sie nicht überhaupt ins Wasser fällt.

Brüssel. Der August gilt gemeinhin als die stille Zeit in Brüssel. Wenn die EU-Kommissare, Beamten, Lobbyisten und sonstige Zuarbeiter Ende Juli in den Sommerurlaub aufbrechen, werden im Europaviertel die Gehsteige hochgeklappt, die Rechner auf Standby heruntergefahren und alle unerledigten Angelegenheiten auf die RentréeAnfang September vertagt, wenn die Union planmäßig wieder in die Gänge kommt. Dieses Jahr dürfte es allerdings etwas anders kommen, denn in der Europapolitik kündigt sich ein kurzer, aber heißer Sommer an, der im Zeichen von zwei Personen stehen dürfte: Wladimir Putin und Jean-Claude Juncker.

Bei dem letzten Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU am 16. Juli ist eigentlich vereinbart worden, die Diskussion um eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland auf den Frühherbst zu vertagen und stattdessen weitere Namen auf die bereits bestehende schwarze Liste der EU zu schreiben, auf der sich seit Freitag 87 Russen und Ukrainer befinden. Doch der Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs in der Ostukraine hat diesen Plan über den Haufen geworfen. An einer Verschärfung der Gangart gegenüber Moskau führt wohl kein Weg mehr vorbei.

Sondergipfel nächste Woche?

Seit Donnerstag arbeiten die EU-Botschafter gemeinsam mit der Brüsseler Behörde fieberhaft an einem Paket, das – anders als die bisherigen Strafmaßnahmen – ganze Bereiche der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Europa und Russland betreffen soll. De facto wäre das die berühmt-berüchtigte dritte und letzte Stufe des EU-Sanktionsplans – obwohl alle Beteiligten tunlichst vermeiden, das Ding beim Namen zu nennen. Bereits fix ist die Ausweitung der bestehenden gezielten Sanktionen, die seit Freitag erstmals nicht nur natürliche, sondern auch insgesamt 20 juristische Personen (also Firmen) treffen.

Bis zum kommenden Dienstag wollen sich die EU-Mitglieder über die weitere Vorgangsweise einig sein – spätestens dann dürfte die Entscheidung fallen, ob die Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel nach Brüssel eilen müssen. Der Beschluss über sektorale Wirtschaftssanktionen ist nämlich Chefsache – und theoretisch auch per Rundschreiben machbar. Angesichts der Brisanz des Themas dürfte ein EU-Gipfel angebracht sein. Am Freitag kursierten in Brüssel Gerüchte, dass das Sondertreffen Ende nächster Woche stattfinden könnte. Von einer „enormen Dringlichkeit“ war in der Kommission die Rede – kein Wunder, denn am Vorabend hatte die US-Regierung Russland erstmals beschuldigt, die Ukraine direkt zu beschießen. (Ukraine siehe auch rechte Seite).

Ein weiterer Sondergipfel ist bereits jetzt fix: Am 30. August werden die EU-Granden über die Besetzung der europäischen Spitzenposten beraten – vordergründig geht es um den Außenbeauftragten der Union, den Präsidenten des Rats und eventuell den Chef der Euro-Gruppe. Was die Angelegenheit besonders kompliziert macht: Der Außenbeauftragte ist zugleich Vizepräsident der EU-Kommission, seine Bestellung wirkt sich also auf die politische, geografische und geschlechtsspezifische Balance in der Brüsseler Behörde aus, die der designierte Kommissionspräsident Juncker finden muss, damit das Europaparlament seinem Team das Vertrauen ausspricht. Zugleich aber machen einige EU-Mitglieder ihre Zustimmung zum EU-Außenminister davon abhängig, welches Portfolio sie in der EU-Kommission erhalten. Juncker wird die nächsten Tage und Wochen mit Beratungen in den EU-Hauptstädten verbringen, die endgültige Entscheidung über alle Posten dürfte aber erst Ende August fallen – was für neuen Zeitdruck sorgt, denn das EU-Parlament muss die neue Kommission bis Ende September absegnen. Somit bleiben nur vier Wochen Zeit für die Vorbereitung der Kandidaten und die anschließenden Hearings im Hohen Haus. Sollten alle Jobs tatsächlich erst Ende August vergeben werden, sei dieser Zeitplan in Gefahr, warnte Danuta Hübner, die zuständige Ausschussvorsitzende im Europaparlament. Für Juncker und seine Ansprechpartner fällt die Sommerpause somit ins Wasser – und das unabhängig davon, was in der Ostukraine noch passieren mag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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