Der Moskau-Faktor entschied über EU-Spitzenjobs

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Beim EU-Gipfel, der im Schatten der neu eskalierten Ukraine-Krise stand, wurde Polens Premier Tusk zum Ratspräsidenten und Italiens Ministerin Mogherini zur Außenbeauftragten bestimmt.

Personalentscheidungen in der EU folgen traditionellerweise einem einfachen Muster: Die siegreichen Kandidaten müssen eine Ausgewogenheit zwischen Mann und Frau, West und Ost sowie rechter und linker politischer Gesinnung repräsentieren. Auch beim gestrigen Sondergipfel in Brüssel, der den neuen Ratspräsidenten und künftigen Außenbeauftragten der Union festlegte, spielten diese Kriterien eine Rolle - wenngleich sie von einem noch wichtigeren Merkmal überlagert wurden: der Nähe beziehungsweise Entfernung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Schon im Vorfeld des Treffens, das vom neu eskalierenden Konflikt in der Ukraine überschattet wurde, waren die Top-Favoriten in erster Linie an ihrer Russland-Nähe gemessen worden. So scheiterte der letzte Personalsondergipfel Mitte Juli daran, das sich einige osteuropäische Mitgliedsländer - darunter insbesondere Polen und die baltischen Staaten - gegen die italienische Außenministerin Federica Mogherini als neue Hohe Repräsentantin der EU zur Wehr setzten, weil Italiens Politik als zu freundlich gegenüber Moskau galt.

Rom ist stark von russischen Energieimporten abhängig und bemüht sich daher darum, auch in der Ukraine-Krise die Beziehungen zu Russland nicht zu beeinträchtigen.
Nun aber wurden die Vorbehalte des Ostens durch einen starken Gegenpol in der Rolle des Ratspräsidenten ausgeräumt: Es ist der polnische Premier Donald Tusk. Der 57-Jährige erfüllt alle Voraussetzungen, die eine Nominierung Mogherinis - auf der die Sozialdemokraten beharrten - doch möglich gemacht haben: Tusk gehört der konservativen Parteienfamilie an, ist Vertreter des wichtigsten osteuropäischen Mitgliedstaats und verfolgt als solcher eine restriktive Russland-Politik. Dies ist auch der persönlichen Geschichte Tusks geschuldet, die ganz eng mit jener seines Heimatlands Polen in den vergangenen Jahrzehnten verwoben ist.

Im Danziger Raum geboren, gehörte seine Familie der slawischen Minderheit der Kaschuben an. Sie durchlitten während des Zweiten Weltkriegs unter der deutschen NS-Herrschaft Konzentrationslager, weshalb Tusks Vater früh starb. Mit 13 Jahren sah Donald mit an, wie Polizisten im kommunistischen Polen auf streikende Gewerkschafter schossen. Dieses Ereignis sollte ihn für immer prägen. Während des Geschichtestudiums, das Tusk in seiner Heimatstadt Danzig absolvierte, engagierte sich der junge Tischlersohn bei der antikommunistischen Oppositionsbewegung. Im Jahr 1980, während des Arbeiterstreiks, begründete er eine unabhängige Studentenvereinigung und schloss sich der Gewerkschaft Solidarność an, die den Untergang der sozialistischen Diktatur 1989 besiegelte.

Nach der Wende ging es mit der politischen Karriere Tusks steil bergauf: Er wurde Vorsitzender des Liberaldemokratischen Kongresses (KLD) - einer Partei, die aus der Solidarność hervorgegangen war. 2001 schließlich gründete Tusk die liberal-konservative Bürgerplattform, dessen Vorsitzender er bis heute ist. Seit dem Jahr 2007 bekleidet Tusk das Amt des polnischen Ministerpräsidenten - damals löste er Lech Kaczyńskis Bruder Jaroslaw ab.

Umfragewerte sinken. Tusk hatte sich lang geziert, einen Spitzenposten in Brüssel zu übernehmen und sein Heimatland zu verlassen. Allerdings sinken die Umfragewerte des Premiers nach sieben Jahren im Amt kontinuierlich - und 2015 finden Parlamentswahlen statt. Als mehr und mehr Staats- und Regierungschefs den Politiker dazu drängten, Ratspräsident zu werden, willigte er schließlich ein. Nach seiner Wahl betonte Tusk, „tief von einem Vereinigten Europa überzeugt" zu sein und versprach, seine erste Pressekonferenz als Ratspräsident im Dezember auf Englisch halten zu wollen. Bisher spricht er die Sprache kaum.

Gewählt wurde der Pole auch zum Euro-Präsidenten: Als solcher wird er die regelmäßigen Gipfel der Währungsunion leiten, wenngleich Polen (noch) nicht Mitglied in diesem Klub ist. Vorgänger Herman van Rompuy, der noch bis zum 30. November im Amt ist, hatte die Treffen während der Eurokrise ins Leben gerufen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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