Roma und Sinti: Ausgegrenzt, arbeitslos, verfolgt

(c) EPA (Max Rossi)
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Nach Übergriffen in Italien sucht die EU nach Strategien, um der Probleme der Minderheit Herr zu werden. Sogar ein eigener Kommissar ist im Gespräch.

Wien/ Strassburg. Sie sind unerwünscht, auch im „alten“ Europa. Zwei Wochen ist es her, dass Ponticelli in Flammen aufging. Ein wütender Mob hatte Molotow-Cocktails und Steine auf die Baracken-Siedlung der Roma am Rande Neapels geworfen. Die selbst gezimmerten Häuschen gingen in Flammen auf. Hunderte Menschen mussten unter Polizeischutz flüchten.

„Die Lage der Roma in den italienischen Lagern ist das schlimmste, was ich in der EU je gesehen habe.“ Viktória Mohácsi, liberale Europaabgeordnete aus Ungarn und selbst Romni, zeigt sich nach einem Besuch schockiert von den Zuständen in Neapel.

Wende hat Lage verschlimmert

Nach den Vorfällen in Italien werden nun in der EU immer mehr Stimmen laut, die europäische Strategien zur Lösung der Roma-Probleme fordern. Schließlich sind die Roma Europas zahlenmäßig größte Minderheit: Geschätzte zehn Millionen leben in Europa, der Großteil davon in den neuen Mitgliedstaaten der EU. In Rumänien machen sie etwa acht Prozent der Bevölkerung aus – und sind dabei doppelt so häufig von Armut betroffen wie andere Bürger. Die Arbeitslosenraten in manchen osteuropäischen Roma-Siedlungen, häufig räumlich getrennt und ohne Kanalisation, liegen zwischen 70 und 100 Prozent. Nach der Wende von 1989 wurden viele Roma als erste aus ihren (meist wenig qualifizierten) Jobs gekündigt. Die abgeschnittene Wohnsituation erschwert ihnen heute noch den Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Schon im Sozialismus war die Bildungsrate der Roma merklich niedriger als bei der Nicht-Roma-Bevölkerung. Nach der Wende hat sich die Lage noch verschlimmert: Kinder gehen oft gar nicht zur Schule, Analphabetismus ist keine Seltenheit.

Auf EU-Ebene stehen mehrere Ansätze zur Debatte: Der österreichische Europaabgeordnete Hannes Swoboda (SPÖ) hat bereits mehrmals einen eigenen Kommissar und mehr Mittel für eine EU-Roma-Politik gefordert. Denn das Roma-Problem sei „sozialer Sprengstoff“. Viktória Mohácsi wünscht sich wiederum eine spezielle „Roma-Strategie“ der Union. Während sich neun der neuen Mitgliedstaaten zur EU-Initiative „Jahrzehnt der Roma-Integration“ (2005-2015) zusammengeschlossen haben, um die Lebensbedingungen der Roma-Bevölkerung zu verbessern, gäbe es in den alten Mitgliedstaaten kein solches Engagement. Freilich: Die soziale Kluft zwischen Roma und Nicht-Roma ist in Osteuropa wesentlich größer als in Westeuropa. Aber der italienische Fall zeigt, dass das Thema auch in den alten EU-Staaten – dort vor allem im Kontext von Einwanderung und Kriminalität – brisant ist.

Bisher wenig Kompetenzen

Forderungen nach mehr EU-Kompetenzen dürften in der Praxis schwer realisierbar sein. Nicht alle Staaten erkennen die Roma als nationale Minderheit an, Politikbereich wie Gesundheitsversorgung, Wohnen und Ausbildung stehen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten – und hier fehlen spezifische Fördermaßnahmen. Zwar kritisierte Beschäftigungskommissar Spidla vergangene Woche im Europaparlament die Zustände in Italien scharf, gab sich aber zurückhaltend bei der Frage nach mehr Engagement der Kommission. Die meisten Agenden, die die Roma beträfen, seien eben Aufgaben der Nationalstaaten. Europa könne allerdings bei Antidiskriminierung und Bewusstseinskampagnen aktiv werden.

Die EU hat zwischen 2000 und 2005 insgesamt rund 750 Millionen Euro für Roma-Projekte bereitgestellt. Doch auch diese Förderpolitik gerät immer mehr unter Beschuss: Viel Geld – wenig Wirkung, lautet der Vorwurf. Die Projekte würden zu wenig evaluiert und das Geld gelange nicht zu den eigentlich Bedürftigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2008)

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