EU: Junckers Team ist noch nicht durch

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Unter den Europaabgeordneten, die im Oktober über die gesamte neue Kommission abstimmen werden, macht sich Widerstand gegen mehrere Kandidaten breit.

Brüssel. „Eine Kommission der Politik aus einem Guss“ – so lautet das Motto des künftigen EU-Kommissionspräsidenten für seine am 1.November beginnende Amtszeit. Doch das Europaparlament könnte Jean-Claude Juncker noch einen Strich durch diese Rechnung machen. Ob nämlich sein Team nach den am 29. September beginnenden Hearings noch aus einem Guss sein wird, ist fraglich. Die Abgeordneten machen bereits gegen einzelne Kommissarskandidaten mobil.

„Massive Bedenken“ äußerst der Vizevorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion (S&D), EU-Abgeordneter Jörg Leichtfried, gegen den ungarischen Kandidaten Tibor Navracsics. Als Justizminister habe dieser die umstrittenen rechtlichen Reformen der Orbán-Regierung federführend umgesetzt. Er habe „eine Hauptrolle beim Abbau des Rechtsstaates übernommen“, lautet auch der Vorwurf der linken Opposition in Ungarn. Möglich wäre, dass neben den Sozialdemokraten und der linken Fraktion auch die Grünen im Europaparlament wegen Navracsics mit einem Veto gegen die Kommission drohen.

Das Parlament kann nur die gesamte Kommission ablehnen oder ins Amt hieven, nicht aber einzelne Kommissare – eine hohe Hürde. Aus der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch Juncker angehört, war zuletzt zu vernehmen, dass man sich bemühen wolle, gemeinsam mit den Sozialdemokraten eine „Regierungsmehrheit“ zustande zu bringen. Denn schließlich hätten die beiden größten Parlamentsfraktionen Juncker auf Basis seines politischen Programms gewählt.

Den Bock zum Gärtner machen

Ob die Sozialdemokraten dieser Logik folgen werden, ist allerdings offen. Neben Navracsics dürfte der Brite Jonathan Hill den S&D-Abgeordneten Unbehagen bereiten – nicht aufgrund seiner Persönlichkeit, sondern wegen des ihm zugeteilten Portfolios. Hill, der für die britische Finanzindustrie tätig war, soll ausgerechnet für die Kontrolle der Kapitalmärkte und der Finanzdienstleistungen zuständig sein. Hier werde der „Bock zum Gärtner“ gemacht, lautet der Grundtenor.

Eine ähnliche Unvereinbarkeit sehen die Grünen beim spanischen Kandidaten Miguel Arias Cañete. Der ehemalige spanische Landwirtschafts- und Umweltminister soll künftig in der Kommission für Klimaschutz zuständig sein. Ihm wirft die Umweltorganisation Greenpeace eine Nähe zur Ölindustrie vor. Er soll Anteile an den Ölunternehmen Petrolifera Duncar S.L und Petrologis Canarias S.L. besitzen. Seine Nominierung sei „ein Schlag gegen eine engagierte Klimaschutzpolitik“, so die grüne EU-Abgeordnete Monika Vana.

Das Europaparlament hat bereits mehrfach den Austausch einzelner Kommissarskandidaten durchgesetzt. 2004 musste sich beispielsweise José Manuel Barroso einen neuen italienischen Kandidaten suchen, nachdem Rocco Buttiglione von den Abgeordneten abgelehnt wurde. Ihm wurden diskriminierende Äußerungen gegen Homosexuelle und seine Ansichten zur Stellung der Frau in der Gesellschaft zum Verhängnis. Auch Arias Cañete dürfte es in Frauenfragen an Sensibilität mangeln. Er soll laut spanischen Medienberichten behauptet haben, dass mit Frauen keine gleichberechtigte Diskussion zu führen sei. Würde ein Mann seine intellektuelle Überlegenheit demonstrieren, gelte er sofort als sexistisch, wird der Spanier zitiert.

Widerstand gibt es zudem gegen die slowenische Ex-Ministerpräsidentin Alenka Bratušek. Ihr wird vorgeworfen, sie habe ihre eigene Nominierung als Kommissarin manipuliert. „Diese Vorwürfe müssen aufgeklärt werden“, fordert Leichtfried.

Die größte Fraktion im Europaparlament, die EVP, will Junckers Team zwar durchfechten. Bei massivem Widerstand der Sozialdemokraten könnte dem Vernehmen nach aber auch sie eine prominente Nominierung infrage stellen – jene, des Sozialisten Pierre Moscovici zum Wirtschafts- und Finanzkommissar. Zum Widerstand gegen den Franzosen rufen bereits die Liberalen auf. Sie sehen durch Moscovici die notwendige Konsolidierung der Haushalte in den Mitgliedstaaten gefährdet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)

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