Die neue Handelskommissarin muss für Transparenz sorgen, die Washington nicht will. Befürworter fühlen sich an die Wand gedrückt.
Wien/Brüssel. Die Gegner des Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP) bekommen fast täglich neue Munition. Informationen zu unkontrollierten Chemikalien, aufgekauften Wasserversorgern oder skrupellosen US-Konzernen tauchen auf. Die Befürworter fühlen sich von der negativen Stimmungsmaschinerie an die Wand gedrückt. Der Welle von Gerüchten, Halbwahrheiten und plumpem Antiamerikanismus können sie wenig entgegensetzen. Mit ein Grund ist, dass die Dokumente zu den Positionen beider Seiten und zu den bisherigen Verhandlungen nicht veröffentlicht wurden. Nicht nur die TTIP-Gegner, auch die Befürworter wie etwa der deutsche Industrieverband (BDI) fordern deshalb endlich mehr Transparenz bei den EU/USA-Gesprächen.
Um das Abkommen zu retten, will der neue EU-Kommissionspräsident, Jean-Claude Juncker, der Schwedin Cecilia Malmström die Zuständigkeit für TTIP übertragen. Mit ihrer skandinavischen Offenheit soll sie für die gewünschte Transparenz sorgen. Die bisherige Innenkommissarin dürfte, wie es aus der Kommission heißt, vor allem deshalb dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger vorgezogen worden sein. Auch er hat sich für den Handel beworben.
Doch auch Malmström könnte am Unwillen der amerikanischen Seite scheitern. Die US-Verhandler pochen darauf, dass bisher alle internationalen Handelsabkommen hinter verschlossenen Türen ausverhandelt wurden. Üblich ist tatsächlich, dass erst das Endergebnis den zuständigen Parlamenten zur Genehmigung vorgelegt wird.
Berlin drängt zu Transparenz
Die deutsche Bundesregierung, die als Verfechter von TTIP gilt, hat bereits bei der scheidenden Kommission interveniert, doch zumindest von EU-Seite mehr Offenheit zuzulassen. Die Stimmung drohe zu kippen, hieß es aus Berlin. Immerhin entschied sich der scheidende EU-Handelskommissar, Karel de Gucht, und sein Team dazu, einem kleinen Kreis Einblick in das Verhandlungsmandat und einige Dokumente zu geben. Zugelassen wurden neben Repräsentanten der Mitgliedstaaten einige EU-Abgeordnete, die im Handelsausschuss des Europaparlaments mit TTIP befasst sind, sowie 14 Vertreter von Industrie und Zivilgesellschaft. Sie dürfen jedoch nur in verschlossenen Räumen, ohne Kopier- und Abschriftmöglichkeit in den Dokumenten lesen. Die Angst war zu groß, dass Teile des Vertrags an die Öffentlichkeit dringen könnten, bevor sie überhaupt abgeschlossen sind. Diese Vorgangsweise hat schließlich nicht dazu beigetragen, das wachsende Misstrauen abzubauen – eher im Gegenteil.
Teile des vorbereiteten Abkommens – wie etwa zu sanitären und phytosanitären Maßnahmen – gelangten trotzdem ins Internet. In diesem Fall durch US-amerikanische NGOs. Die einst von beiden Seiten vereinbarte Geheimhaltung ist längst ad absurdum geführt. Selbst wer sich mit den Materien befasst, weiß allerdings nicht mehr zwischen Quellen zu unterscheiden, die glaubwürdig sind, und solchen, die es nicht sind.
Ob Cecilia Malmström das Abkommen noch retten kann, ist fraglich. Immerhin dürfte die Schwedin Transparenz weit mehr als Selbstverständlichkeit erachten als ihr Vorgänger, der zu Beginn der Gespräche nur wenig auskunftsfreudig war. De Gucht hatte im Herbst 2013 auf Fragen, ob künftig Chlorhühner und Hormonfleisch aus den USA auf den EU-Markt drängen würden, nur verärgert reagiert und darauf verwiesen, dass es doch um weit Wichtigeres gehe. Die Symbolkraft des Chlorhuhns hatte er unterschätzt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2014)