Deutschland-Frankreich: Berlin darf nicht Canossa werden

French Prime Minister Valls and German Chancellor Merkel review a guard of honour during a welcome ceremony at the Chancellery in in Berlin
French Prime Minister Valls and German Chancellor Merkel review a guard of honour during a welcome ceremony at the Chancellery in in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Paris verfehlt seine Ziele und bricht den Stabilitätspakt. Premier Valls aber tritt in Berlin forsch auf. Merkel hält sich mit Kritik zurück – aus Angst vor dem Front National.

Berlin. Nach Lage der Dinge hätte es ein Bittgang sein müssen: Frankreichs Premier Manuel Valls kam am Montag zu seinem Antrittsbesuch nach Berlin. Er warb bei Kanzlerin Merkel um Verständnis dafür, dass sein Land schon wieder das Drei-Prozent-Defizitziel nicht einhält und von der EU-Kommission zum dritten Mal Aufschub verlangt. Der Fehlbetrag ist heuer mit 4,4 Prozent sogar höher als im Vorjahr. Und erst 2017, wenn überhaupt, sehen sich die sozialistische Regierung und Präsident Hollande in der Lage, ihr Versprechen zu erfüllen. Damit hat Paris den Stabilitätspakt de facto aufgekündigt.

Doch von Demut ist bei Valls keine Spur. „Ich werde mich nicht bei der Kanzlerin entschuldigen“, verkündete er schon vorige Woche in einer Regierungserklärung. Sein Argument: Der Wille zu Haushaltsdisziplin und Strukturreformen sei ja weiter vorhanden. Aber die schwache Konjunktur und die niedrige Inflation lassen eben nicht mehr zu, wolle man das Wachstum (es liegt nahe null) nicht ganz abwürgen. Strafen aus Brüssel? Sie fürchte er „überhaupt nicht“, denn dazu werde es nicht kommen. Die drohende Abwertung durch Moody's? Kein Problem, die Zinsen sind ja so niedrig wie nie.

Merkel streut Rosen

Diese Haltung stößt nicht nur unter Euro-Programmländern wie Spanien und Irland, die tapfer gespart und reformiert haben, auf Kritik. „Es ist unverfroren zu sagen: ,Mehr sparen geht‘“, findet auch Herbert Reul, EU-Abgeordneter der CDU. „Das ist ein Schlag ins Gesicht der Griechen und Portugiesen“, die harte Kürzungen hinnehmen mussten.

Doch seine Parteichefin hütet sich, Valls zu kritisieren. Merkel streute ihrem Gast sogar Rosen, indem sie zarte Ansätze von Reformen als „beeindruckende Summe an Anstrengungen“ lobte. Immerhin wies die Kanzlerin sanft darauf hin, es sei wichtig, „dass wir uns an das halten, was wir miteinander vereinbart haben“. Und es gebe viele Möglichkeiten, Wachstum zu schaffen, „ohne mehr Geld auszugeben“ – etwa durch den Abbau der Bürokratie (Frankreich hat einen Staatsanteil von 57 Prozent, einen der höchsten der Welt). Ob die Maßnahmen ausreichen, müsse Brüssel entscheiden. In die Rolle der Schiedsrichterin will sich Merkel nicht drängen lassen.

Warum der konziliante Tonfall? Die Große Koalition fürchtet: Wenn sie besserwisserisch auftritt, schürt sie Ressentiments gegen Deutschland und EU und spielt so Frankreichs extremen Rechten in die Hände. „Dann kommt Le Pen, und dann ist Ende mit Europa“, prophezeit SPD-Chef Gabriel düster. Diese Angst weiß Valls zu schüren: Für ihn steht die FN-Vorsitzende „vor den Pforten der Macht“.

Dass Kritik nur noch aus der dritten Reihe kommt, zeigt auch, dass die Deutschen ihren wichtigsten Partner nicht mehr auf Augenhöhe sehen. Der „Reformer“ Valls war so etwas wie die letzte Hoffnung. Doch um zwei Vertrauensabstimmungen zu überstehen und Reformverweigerer im Kabinett austauschen zu können, musste der 52-Jährige dem linken Parteiflügel so viele Zugeständnisse machen, dass er nun zaudernd wie ein zweiter Hollande wirkt – nur mit katalanischem Temperament.

Valls droht freundlich

Um die wunden Seelen der Sozialisten zu streicheln, schiebt auch er die Schuld an Frankreichs Misere auf die deutsche „Austerität“. So steckt selbst hinter einem scheinbar freundlichen Satz nach dem Mittagessen mit Merkel eine Drohung: „Die Franzosen werden Deutschland mögen, wenn es sich für Wachstum in Europa einsetzt“. Das bedeutet in der Terminologie von Frankreichs Sozialisten: mehr öffentliche Investitionsprogramme auf Pump. Und wenn von deutscher „Verantwortung“ die Rede ist, schwingt mit: Deutschland müsse aus der Rezession helfen, in die es Europa getrieben habe.

Merkel mag schon auf die Rückkehr ihres Traumpartners Sarkozy hoffen, der wieder in den Ring gestiegen ist. Zwar haben auch Frankreichs Konservative die Schulden anwachsen lassen und Reformen verabsäumt. Aber ihre heutigen Pläne sind – mit 150 statt 50 Mrd. an Einsparungen – dreimal so ambitioniert wie jene der Regierung. Und ihre Wähler haben, wie der „Figaro“ schreibt, angesichts des spektakulären Scheiterns des vorsichtigen Hollande „längst keine Hemmungen mehr“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2014)

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