Volksabstimmung: Irlands einsamer Kampf gegen Brüssel

(c) AP (Niall Carson)
  • Drucken

Die grüne Insel probt den Aufstand gegen die EU. In den letzten Tagen vor dem für ganz Europa entscheidenden Referendum sind die Gegner des Lissabon-Vertrags klar im Aufwind.

Wir befinden uns im Jahr 2008 n. Chr. Ganz Europa ist von Brüssel besetzt Ganz Europa? Nein! Eine von unbeugsamen Iren bewohnte Insel hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Wer einst Asterix und Obelix gelesen hat, findet dieser Tage in Irland die Übertragung der Comic-Serie in die Wirklichkeit. Die Gegner des EU-Vertrags von Lissabon, der am Donnerstag zur Abstimmung steht, haben dabei die Rolle der „unbeugsamen“ Verteidiger übernommen. Und das mit Erfolg.

Einen symbolträchtigeren Platz für Kundgebungen als das General Post Office im Zentrum Dublins gibt es in Irland nicht. Hier bezogen 1916 die Aufständischen gegen die Briten ihr Hauptquartier, bis heute erinnern sorgsam bewahrte Einschusslöcher an den 1922 schließlich erfolgreichen Freiheitskampf. Gegenüber auf der O'Connell Street steht eine Statue für den Arbeiterführer Jim Larkin mit den Versen: „Und die Tyrannei stieß sie in Dublins Gosse. Bis Jim Larkin kam und den Ruf der Freiheit und des Stolzes ertönen ließ.“

Wenige Tage vor der Abstimmung gehört der Platz völlig den Gegnern des Vertrags. An Pathos lassen auch sie es nicht fehlen: „Sie starben für Eure Freiheit“, heißt es auf einem Plakat unter Hinweis auf die Helden von 1916. Von der extremen Linken bis zur extremen Rechten hat man sich in Ablehnung des Vertrags zusammengefunden. Der Lissabon-Text sei nur eine Neuauflage der in den Niederlanden und Frankreich abgelehnten Verfassung und damit eine Verhöhnung der Völker Europas durch zynische Politiker und Eurokraten; Lissabon würde die Souveränität Irlands aushöhlen, das Land durch den Verlust eines ständigen Kommissars entmachten, die irische Neutralität unterwandern, die Wettbewerbsfähigkeit durch Steuerharmonisierung zerstören. Selbst das moralische Fundament der irischen Gesellschaft sieht man bedroht.

Gott wurde gestrichen

John und Eileen verteilen Flugblätter für die ultrarechte katholische Gruppierung Cir. Nicht nur sehen sie Abtreibung, Euthanasie und homosexuelle Ehen („Das ist krank“) auf ihr heiliges Land zukommen, mehr noch: „Wenn man Gott aus der Verfassung streicht, macht man den Menschen zum Herrn der Schöpfung und kann damit die Natur und die Umwelt besteuern“, erklärt John.

Diese Erklärung ist nur ein Beispiel für Gedankengänge der Iren, die für ihre EU-Partner derzeit nicht ganz leicht zu begreifen sind. So wurde etwa damit argumentiert, dass mit dem EU-Vertrag die Abtreibung erlaubt würde, obwohl hier überhaupt kein Zusammenhang besteht. Dennoch ist die Nein-Kampagne höchst erfolgreich. Umfragen sagen mittlerweile ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Einmal liegen die Vertragsgegner knapp voran, dann wieder die Vertragsbefürworter. Doch selbst die Befürworter räumen ein, dass die Gegner derzeit im Aufwind sind.

Dabei gefallen sich die Kritiker des Vertrags zunehmend in der „Asterix gegen Rom“-Rolle: Es ist tatsächlich ein Kampf gegen die geballte politische Macht, denn mit Ausnahme der nationalistischen Sinn Féin, die seit dem Beitritt Irlands 1973 gegen jeden EU-Vertrag eingetreten war, machen sich diesmal alle führenden Parteien und Interessenverbände des Landes für ein Ja stark. Nur die Kirche verbreitete am Sonntag eine eher verschwommene Stellungnahme.

Während sich die Befürworter aber (zu) lange auf inhaltsleere Appelle wie „Gut für Irland“ beschränkten, beherrscht die bunte Allianz der Gegner die Straßen. Vor einem Fußballmatch in Dublin, das von 90.000 Menschen besucht wurde, war am Sonntag gerade ein Häufchen junger Aktivisten für ein Ja unterwegs, während vier verschiedene Nein-Gruppen rund um das Stadion klar den Ton angaben. „Steht ein für uns!“, rief ein Passant aufmunternd einem Aktivisten der Gruppe „Libertas“ zu, die derzeit aktiv für ein Nein wirbt.

Finanziert wird „Libertas“ von dem umstrittenen irischen Millionär Declan Ganley, der sich zu einem wahren Schrecken des Establishments entwickelt hat. Streitlustig weist er alle Richtigstellungen seiner Kampagne zurück, wohl wissend, dass mit der Verwirrung die Ablehnung nur steigt.

„Warum ausgerechnet wir?“

Tatsächlich gab die Mehrheit der Gegner und Unentschlossenen zuletzt in einer Umfrage an, den Lissabon-Vertrag „nicht zu verstehen“. Der irische Kolumnist Frank McNally: „Warum ausgerechnet wir? Dies ist ein Land, in dem man eine klare Antwort meidet wie die Pest.“ Sinn Féin hat daraus den wohl wirksamsten Slogan geschmiedet: „If you don't know, vote No.“

Die Befürworter hingegen haben sich so wenig zündende Botschaften einfallen lassen wie: „Lasst uns daran arbeiten, dass Europa besser funktioniert.“ Die Gegner hingegen behaupten, dass ein „besserer“ Vertrag möglich sei. Keine einzige Gruppe will aber einen Austritt aus der Europäischen Union. „Ein Nein wird unsere Position nur stärken, Europa wird umdenken müssen“, meint Lawrence, ein Sozialist. „Wenn die Niederlande und Frankreich Nein sagen durften, warum soll es uns nicht gestattet sein?“

Brian Cowen, Ministerpräsident seit Anfang Mai, hat auf derartige knifflige Fragen bisher noch keine passenden Antworten gefunden. Wenn der Taoiseach (irischer Regierungschef) das Ruder allerdings noch herumwerfen will, muss er sehr schnell seinen Zaubertrank finden. Sonst wird das Wildschweinessen diesmal wohl entfallen müssen.

UMFRAGEN:

Mehrheit der Gegner. Eine Umfrage der „Irish Times“ vom vergangenen Donnerstag sah die Gegner in der Überzahl. 35 Prozent wollten demnach gegen und nur 30 Prozent für den Vertrag stimmen. 35 Prozent waren unentschlossen.

Mehrheit der Befürworter. Eine Umfrage der „Sunday Business Post“ kam am Wochenende wieder auf eine knappe Mehrheit der Vertragsbefürworter. Demnach wollten 42 Prozent mit Ja und 39 Prozent mit Nein stimmen. Doch auch laut dieser Umfrage legten die Gegner zuletzt deutlich mehr zu als die Befürworter. In der letzten Umfrage derselben Zeitung stand es noch 41 zu 33 Prozent
für das Ja-Lager.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.