Haben die USA den EU-Vertrag sabotiert?

Ganley mit seiner Frau
Ganley mit seiner Frau(c) EPA (Str)
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EU-Parlament jagt Mr. No: Pentagon, CIA und Neocons sollen Ganleys „Nein“-Kampagne finanziert haben.

Brüssel.Es ist ein dickes Konvolut, voller komplexer Details, an dem Experten monatelang gearbeitet haben. Es ging in Brüssel und Straßburg durch viele Hände, alle sprechen davon, aber wohl niemand hat es zur Gänze gelesen.

Nein, falsch gedacht: Es geht nicht um den Vertrag von Lissabon. Der wurde nach heutigem Stand von den Iren in einer Volksabstimmung im Juni zu Fall gebracht. Die treibende Kraft hinter der erfolgreichen Nein-Kampagne war Declan Ganley. In dem Dossier geht es um ihn und seine Kontakte, vor allem aber um den Verdacht, die USA habe die Vertragsgegner illegal finanziert, um Europa politisch zu schwächen.

Der Hintergrund: Ganley ist ein Selfmademan mit viel Geld und besten Kontakten in die USA – zu neokonservativen Lobbygruppen, CIA und Pentagon. Seine Firma Rivada Networks beliefert das US-Militär mit intelligenten Walkie-Talkies für den Einsatz bei Katastrophen wie Hurrikans und Terrorattacken. Jährlicher Auftragswert: um die 200 Mio. Dollar.

Auch die Anti-Lissabon-Kampagne des von Ganley gegründeten Vereins „Libertas“ war nicht gerade billig: über zwei Mio. Euro, vermutet der irische Europaminister Dick Roche, der für seine „Ja“-Werbung mit der Hälfte auskommen musste. Schon vor dem Referendum kamen Zweifel auf, ob Libertas so viel Geld legal auf die Beine gestellt hat. Denn die irische Gesetzgebung begrenzt Spenden an politische Organisationen auf 6000 Euro pro Spender und Jahr. Kaum jemand glaubte Ganleys offizieller Version von einem Heer kleiner Unterstützer.

Kein Wunder, dass es in der EU-Gerüchteküche gleich nach dem Referendum kräftig zu brodeln begann. Der erste prominente Koch war Frankreichs Europaminister Jean-Pierre Jouyet. Sonst eher ein trockener Technokrat, skizzierte er seine Verschwörungstheorie mit Worten, die so bedrohlich klangen wie der Klappentext eines Spionage-Thrillers: „Der Kampf um Europa ist noch nicht vorbei. Europa hat mächtige Feinde mit tiefen Taschen, wie wir beim irischen Referendum gesehen haben. Sie kommen nicht aus Europa, sondern von der anderen Seite des Atlantiks.“

Das war im Juli, als die EU-Spürhunde in Dublin, Brüssel und Paris noch fieberhaft Ganleys Biografie, seine Steuerakten und Firmenbuchsauszüge durchforsteten. Gerichtsverwertbare Beweise habe er nicht, gestand Minister Roche vor kurzem. Aber Hinweise auf Geheimdienst-Kontakte und dubiose Geldquellen gebe es zuhauf, verriet die „Financial Times Deutschland“. Grund genug für Daniel Cohn-Bendit, das Europaparlament einzuschalten. Vorige Woche forderte den Grünen-Fraktionschef Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering auf, von Irland eine formelle Untersuchung zu fordern: „Wenn sich die Medienberichte als wahr erweisen, würde das klar zeigen, dass es in den USA Kräfte gibt, die Leute bezahlen, um ein starkes und autonomes Europa zu destabilisieren.“ Pöttering nahm den Ball dankbar auf und setzte nach: „Die Fakten müssen auf den Tisch. Wir können nicht zulassen, dass Europa Schaden von Leuten zugefügt wird, die Transparenz fordern und sie selbst nicht liefern.“

Widersprüchliche Angaben

Über diesen Vorwurf darf sich „Mr. No“, wie Ganley in Irland genannt wird, nicht beschweren, denn er machte nur spärliche und widersprüchliche Angaben über die Libertas-Finanzierung. Unter anderem geht es um ein „Darlehen“ von 200.000 Euro, dass er aus eigener Tasche zur Verfügung gestellt habe. Zurückgezahlt hat ihm sein Verein dieses Geld bis heute nicht. Erst im kommenden Jahr, wenn ihn das Gesetz dazu zwingt, will Ganley volle Rechenschaft über seine Geldquellen abgeben.

Bleibt die Frage nach den Motiven der angeblichen US-Financiers. Eine reformierte EU bekäme mehr Gewicht auf der Weltbühne – auch in Konkurrenz zu den USA. Militär und konservative Denkfabriken hätten dort schon lange gegen den neuen EU-Vertrag argumentiert, meint Cohn-Bendit zur „Presse“: „Sie haben alles versucht, damit die Engländer nicht ratifizieren.“ Nachdem sich eine Zustimmung in London abzeichnete, sei „Irland für sie die letzte Möglichkeit gewesen“.

Was gegen solche Spekulationen spricht, sind nicht nur wütende Dementis von Seiten Ganleys („absolut empörend“) und des CIA („nicht nur falsch, sondern auch grotesk“). Auch spricht dagegen, dass die „Neocons“ in der Abenddämmerung der Bush-Administration einen guten Teil ihres Einflusses verloren haben. Ihre letzte Energie dürften sie eher in die Iran-Frage legen als in die Sabotage des europäischen Einigungsprozesses. Die Sprecherin der rechten Heritage-Stiftung versteht die Gerüchte nicht: „Diese US-Regierung ist die EU-freundlichste seit langem. Es gibt keine finstere Verschwörung.“

Ganley will kandidieren

Fantasie und Kampfgeist der EU-Parlamentarier haben freilich auch andere Gründe. Ganley plant, angespornt durch seinen Erfolg in Irland, eine EU-weite Partei der Lissabon-Gegner und Radikal-Reformer. Schon zieht er durch die Lande und schart Verbündete um sich. Den EU-skeptischen tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus hat er schon auf seine Seite gezogen. Was noch fehlt, sind potente Financiers. CIA? Pentagon? US-Regierung? Die Gerüchte dürfen weiterbrodeln.

Meinung Seite 47

LEXIKON

Irland hat am 12. Juni den Lissabon-Vertrag durch eine Volksabstimmung abgelehnt. Es war das einzige Land der EU, in dem ein Referendum über die umgearbeitete ehemalige EU-Verfassung stattgefunden hat.

Neues Referendum. Zuletzt mehrten sich Stimmen, die ein neues Referendum in Irland für wahrscheinlich halten. Allerdings gibt es laut Umfragen nach wie vor keine Mehrheit für den Vertrag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2008)

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