Zeit einfacher Entscheidungen vorbei

Juncker
Juncker(c) REUTERS (YVES HERMAN)
  • Drucken

Das EU-Parlament dürfte dem Kabinett Juncker I heute zustimmen. Doch neben Problemen mit der neuen Struktur warten bald erste große Herausforderungen inhaltlicher Natur.

Straßburg. Voraussichtlich am heutigen Mittwoch wird die Saga um die Neubesetzung der EU-Kommission ihr glückliches Ende nehmen: Mit der erwarteten Zustimmung des Europaparlaments zur Mannschaft des Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker wird ein Schlussstrich unter ein Prozedere gezogen, das am Abend der EU-Wahl am 25. Mai begonnen hat. Damit kann die Juncker-Kommission ihre Arbeit wie geplant am 1. November aufnehmen.

Dass zwischen Wahl und Amtsantritt ein halbes Jahr liegt, hat zu einem nicht unbeträchtlichen Teil damit zu tun, dass Juncker in dreifacher Hinsicht Neuland betritt: erstens aufgrund der Tatsache, dass er als erster europaweiter Spitzenkandidat des EU-Parlaments – und gegen den Willen einiger einflussreicher EU-Mitglieder – inthronisiert wurde. Zweitens, weil die neue Kommission aufgrund dieser Voraussetzungen politischer aufgestellt ist als ihre Vorgängerinnen – und dieser Prozess nahm Zeit in Anspruch. Und drittens, weil Juncker die Struktur der Kommission durch die Schaffung eines mittleren Managements in Form von sieben Vizepräsidenten, die für Themenbereiche wie Energieunion oder Subsidiarität zuständig sind, radikal verändert hat.

Böcke zu Gärtnern gemacht

Ob sich diese neue Führungsstruktur in der Praxis bewähren wird, weiß in Brüssel momentan niemand – selbst die Kandidaten für die Posten der Vizepräsidenten nicht. „Vermutlich ist nur Juncker von seiner Reform hundertprozentig überzeugt. Und das ist auch gut so“, merkt ein Brüsseler Insider an. Der Grundgedanke ist jedenfalls logisch: Jeder thematische Schwerpunkt aus Junckers Wahlprogramm soll im Organigramm der Behörde abgebildet sein. In der Theorie sollte das die Arbeit erleichtern – in der Praxis muss sich zeigen, ob die „einfachen“ Kommissare, die künftig von den Vizepräsidenten beaufsichtigt werden, die Schlechterstellung hinnehmen. Etwa Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici, dem der Lette Valdis Dombrovskis auf die Finger schauen soll, damit der französische Sozialdemokrat keinen Unfug anstellt und beispielsweise seiner Heimat die chronischen Budgetdefizite durchgehen lässt.

Damit wären wir bereits bei der zweiten potenziellen Schwachstelle der Juncker-Kommission. Der listige Luxemburger hat die Schlüsselposten mit Vertretern jener Länder besetzt, die in den betroffenen Bereichen Auffälligkeiten aufweisen: Während also Frankreichs ehemaliger Finanzminister Moscovici den Franzosen das Schuldenmachen abgewöhnen soll, wird der Niederländer Frans Timmermans, dessen Regierung Brüssel zur administrativen und legistischen Zurückhaltung ermahnt, mit der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips betraut – und die Zuständigkeit über Finanzmarkt und Bankenunion geht an einen Vertreter Großbritanniens, das weder der Eurozone angehört noch sich von Kommission und EZB hinsichtlich seines Finanzsektors dreinreden lassen will. Ob die Böcke, die von Juncker zu Gärtnern gemacht wurden, dieser Herausforderung gewachsen sind, muss abgewartet werden.

Diese Wartezeit dürfte allerdings nicht von allzu langer Dauer sein, denn auf die neue Mannschaft warten viele Herausforderungen. Die erste Hürde müssen Juncker und Co. bereits in wenigen Wochen nehmen, wenn es um die französischen und italienischen Haushaltsentwürfe für das kommende Jahr geht, die aller Voraussicht nach nicht EU-konform sind.

Spanien und Irland am Hals

Schickt Juncker die Budgets 2015 nach Paris und Rom zurück, riskiert er einen Konflikt mit zwei wichtigen EU-Hauptstädten. Segnet er sie ab, wird er Länder wie Spanien oder Irland am Hals haben, die im Zuge der Schuldenkrise zum Sparen gezwungen wurden.

An der Entscheidung wird sich weisen, welchen Weg die neue Kommission einschlagen wird. So oder so: Die Zeit der einfachen Entscheidungen ist für Juncker mit Allerheiligen vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.