EU-Parlament: Ein Krisenpaket zu Weihnachten

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Jean-Claude Junckers Team erhielt die Zustimmung. Er selbst will nun den Aufbau des geplanten Investitionsfonds beschleunigen.

Straßburg. Weißer Rauch über dem Europaparlament. Am gestrigen Mittwoch um exakt 12.30 Uhr erteilten die in Straßburg versammelten Abgeordneten der Mannschaft von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker offiziell ihren Segen. Von 699 abgegebenen Stimmen (das Europaparlament hat 751 Sitze, die Abstimmung wurde also von 52 Personen geschwänzt) entfielen 423 Voten auf das Team des Luxemburger Christdemokraten. 209 Parlamentarier stimmten mit Nein, 67 enthielten sich. Somit kann Juncker sein neues Amt wie avisiert am 1. November antreten.

Der Abstimmung vorangegangen war eine Ansprache des Kommissionschefs in spe, der sich auf Französisch, Englisch und Deutsch an die Europaabgeordneten wandte, um über die bereits getroffenen Exekutiventscheidungen und bevorstehenden Weichenstellungen zu sprechen. Juncker nahm noch minimale Nachjustierungen an den Portfolios seiner Kommissare vor. So verlor der ungarische Kommissar Tibor Navracsics den Zuständigkeitsbereich Bürgerrechte, der zum griechischen Kommissar Dimitris Avramopoulos wanderte, der für die Migration zuständig ist. Navracsics ist also nunmehr für Jugend, Sport und Kultur zuständig. Die Verantwortung für Arzneimittel wanderte von der Binnenmarkt- und Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska zum litauischen Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis – im Gegenzug wurde das Portfolio der Polin um die Raumfahrt erweitert.

Zu guter Letzt wertete Juncker seinen künftigen Stellvertreter Frans Timmermans noch ein Stück auf. Der niederländische Sozialdemokrat, der als Erster Vizepräsident der Kommission die Einhaltung der Subsidiaritätsprinzipien überwachen soll, wird sich fortan auch um den Themenschwerpunkt nachhaltiges Wachstum kümmern. Oder um mit Junckers Worten zu sprechen: „Ich hoffe, dass Frans nicht nur meine rechte, sondern manchmal auch meine linke Hand sein wird.“

Überhaupt will der Luxemburger seinen sieben Vizepräsidenten, die die Koordination von Initiativen übernehmen sollen, möglichst viel inhaltlichen Spielraum lassen – „denn ich habe nicht vor, in meinem Alter eine Karriere als Diktator zu starten“, erläuterte der ehemalige Premierminister und langjährige Vorsitzender der Euro-Gruppe.

Suche nach 300 Milliarden

Hinter dieser Koketterie (Juncker ist gemeinhin als entscheidungsstark bekannt) versteckt sich allerdings der Wille zu raschen – und sichtbaren – Erfolgen. Dafür spricht auch die wohl wichtigste Ankündigung seiner gestrigen Rede im Straßburger Plenum: Der Kommissionschef wird sein 300 Milliarden Euro umfassendes Investitionsprogramm, mit dem die Union aus dem Wachstumskoma geholt werden soll, nicht erst – wie ursprünglich angekündigt – zu Beginn des kommenden Jahres präsentieren, sondern noch heuer – „vor Weihnachten, damit der Europäische Rat darüber befinden kann“. Der letzte Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs findet am 18. und 19. Dezember in Brüssel statt. Woher genau diese 300 Milliarden kommen sollen, steht noch nicht fest – auf Pump will Juncker sein Investitionsprogramm jedenfalls nicht finanzieren.

Doch zurück zum gestrigen Votum, das nach Ansicht des Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) ein „brillantes Ergebnis“ für Juncker brachte. Was allerdings auffällt, ist die Tatsache, dass nicht alle Mitglieder der informellen Großen Koalition aus Christdemokraten (EVP), Sozialisten (S&D) und Liberalen (Alde) für Junckers Team gestimmt haben – sonst hätten es nämlich rund 40 Stimmen mehr sein müssen. Schulz versuchte gestern, dem Ergebnis einen positiven Spin zu verpassen: Im Plenum gebe es eine „nachhaltige proeuropäische Mehrheit von rund 430 Stimmen“ als Basis für die Zusammenarbeit mit der Kommission. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings, dass im Europaparlament gut 300 Abgeordnete sitzen, die keine überzeugten Europäer sind – ein Anteil, der sowohl Schulz als auch Juncker nachdenklich stimmen sollte.

AUF EINEN BLICK

Abstimmung. Die neue EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker erhielt am Mittwoch die Zustimmung von 432 der anwesenden 699 Europaabgeordnete. 209 Abgeordnete stimmten dagegen, 67 enthielten sich. Im Vergleich zu seinem Vorgänger José Manuel Barroso erhielt Juncker damit eine leicht geringere Zustimmung. Für Barroso votierten 2004 (erste Amtszeit) 449 Abgeordnete, 2010 (zweite Amtszeit) 488 Mandatare.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2014)

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