Wie Europa mit Klimaschutz hadert

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140923 New York Sept 23 2014 French President Francois Hollande serves as co chair at oneimago/Xinhua
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In Brüssel wird über eine verbindliche CO2-Reduzierung verhandelt. Die Fronten verlaufen zwischen Ost und West – und zwischen Frankreich und der iberischen Halbinsel.

Brüssel/Wien. Ist die EU immer noch ein Vorbild im Umgang mit Umwelt und Ressourcen – und ist sie an dieser Rolle überhaupt noch interessiert? Um diese Frage ist in der Union ein Streit entbrannt. Die am Donnerstag nach Brüssel geeilten Staats- und Regierungschefs der EU suchen nach einem Kompromiss zwischen den klimapolitischen Ambitionen der umweltbewussteren (und wohlhabenderen) Nord- und Westeuropäer auf der einen und den wirtschaftlich weniger weit entwickelten Zentral- und Osteuropäern auf der anderen Seite.

1. Welche Ziele hat sich die EU beim Klimaschutz gesetzt?

Die Zauberformel, über die debattiert wird, lautet 40-27-30: Bis zum Jahr 2030 sollen die EU-Mitglieder ihre CO2-Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Stand 1990 senken. Im selben Zeitraum soll der Anteil erneuerbarer Energien auf 27 Prozent steigen und die Energie um 30 Prozent effizienter verbraucht werden, als dies 1990 der Fall gewesen ist.

2. Wie ernst meint es die Union mit ihren Vorgaben?

Nicht sehr. Verbindlich für alle Mitgliedstaaten soll nur die erste Kennzahl (40 Prozent CO2-Reduktion) sein. Das Ziel eines 27-prozentigen Anteils erneuerbarer Energien soll nur insgesamt EU-weit gelten. Sonst gibt es also keine verbindlichen Vorgaben für die Hauptstädte, was ihren ohnehin beschränkten Enthusiasmus weiter dämpfen dürfte. Das Energieeffizienz-Ziel ist „indikativ“ – also eine unverbindliche Empfehlung.

3. Wie ambitioniert ist die EU im Vergleich zu den geltenden Zielen?

Die 2009 beschlossene und derzeit geltende Formel lautet 20-20-20 bis zum Jahr 2020. Punkto Emissionen ist der neue Zielwert durchaus ambitioniert. Beim Anteil erneuerbarer Energien argumentieren Umweltschützer, dass ein Ziel von 27Prozent bis 2030 de facto eine Verlangsamung der Energiewende bedeuten würde.

4. Warum also der Sturm der Entrüstung im Osten der EU?

Es geht vor allem um das CO2-Ziel – und um Polen, das den Block der Gegner anführt. Das Land generiert 90 Prozent seiner Elektrizität aus Kohle und argumentiert, dass das neue Ziel die Strompreise verdoppeln und die Wirtschaft in den Ruin stürzen würde.

5. Wie tief ist die Kluft zwischen Ost und West?

Auf den ersten Blick sehr tief, auf das zweite Hinsehen bewältigbar – und zwar mittels Emissionszertifikaten (ETS) – das sind CO2-Verschmutzungsrechte, die von Unternehmen gekauft werden müssen. Ein Teil dieser Zertifikate wird gratis verteilt – und Warschau ist kompromissbereit, wenn es im Gegenzug einen entsprechend hohen Anteil dieser Gratis-ETS zugeteilt bekommt – und zudem die Einnahmen aus dem ETS-Handel für die Modernisierung der polnischen Kohlekraftwerke verwenden darf und nicht ausschließlich für erneuerbare Energieträger. Offiziellen Schätzungen zufolge würde die Rundumerneuerung der Kohlekraftwerke ihre Emissionen um ein Drittel senken.

6. Sind die Polen das einzige Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung?

Nein. Probleme gibt es auch mit Spanien, Portugal und Frankreich. Madrid und Lissabon wollen, dass die EU ambitionierte Vorgaben hinsichtlich der Verflechtung nationaler Stromnetze macht und wünschen sich, dass 15 Prozent des generierten Stroms ins EU-Ausland fließen dürfen – aktuell ist von zehn Prozent die Rede. Strikt dagegen ist Paris – es müsste dann mehr Wind- und Solarstrom von der iberischen Halbinsel ins eigene Netz speisen.

7. Wird Österreich die ehrgeizigen EU-Ziele mittragen?

Wien ist angesichts der Abwanderungsdrohungen einzelner Industriebetriebe auf Distanz zu den ehrgeizigen Zielen gegangen. In einem internen Papier des Wirtschaftsministeriums wird das von der EU-Kommission vorgeschlagene verbindliche Ziel einer 40-prozentigen CO2-Reduzierung infrage gestellt, sollte die Industrie dadurch über die Maße belastet werden. Außerdem sollten Betriebe auch nach 2020 gratis ETS erhalten. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) versuchte im Vorfeld des Gipfels zu bremsen: „Auch Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum müssen bedacht werden“, so Mitterlehner. Dies gelte nicht nur für das Energieeffizienz-, sondern auch für das CO2-Ziel.

8. Droht die EU ihre internationale Vorreiterrolle zu verlieren?

Die EU war bisher eine treibende Kraft für den Klimaschutz. Obwohl es stets interne Differenzen gab, verpflichtete sich die Union zu einer Reduzierung der Treibhausgase von 20 Prozent bis 2020. Das war mehr als der Rest der Welt. Die EU-Verhandler schlugen sogar eine 30-prozentige Reduktion vor, sollten andere Industrieländer mitziehen. Während sich beispielsweise Indien nach wie vor gegen Klimaschutzziele ausspricht, hat US-Präsident Barack Obama für die Klimakonferenz 2015 in Paris ein verstärktes Engagement seiner Regierung angekündigt. Er will die Vorreiterrolle der Europäer mit noch strengeren Zielen übertrumpfen. Allerdings gibt es auch in den USA Widerstand gegen diesen Plan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

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