Türkei werden Tore wieder geöffnet

(c) Reuters (Umit Bekas)
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Brüssel lobt die steigende strategische Bedeutung und die gesunde Wirtschaft.

Brüssel/WIEN (APA, wb). Die Georgien-, Energie- und Finanzkrise machen es möglich: Der Türkei werden wieder die Tore in die EU geöffnet. In Berichten zur strategischen Bedeutung der Türkei und zu ihren Fortschritten im Beitrittsprozess wird die EU-Kommission am Mittwoch dieser Woche relativ deutlich für eine Aufnahme des Landes werben. Laut ersten Details der Berichte wird vor allem auf Vorteile für die Union durch eine höhere regionale Stabilität und neue Möglichkeiten der Energiezulieferung verwiesen.

„Die strategische Wichtigkeit der Türkei für die EU ist weiter gewachsen“, heißt es in einem Teil der Berichte, der von der „Financial Times Deutschland“ veröffentlicht wurde. Hervorgehoben wird darin vor allem die konstruktive Rolle Ankaras bei der Bewältigung der Georgienkrise, aber auch die Initiative von Staatspräsident Abdullah Gül zur Verbesserung der Beziehungen mit Armenien. Außerdem findet die Vermittlerrolle zwischen Syrien und Israel Anerkennung.

Das Land sei allerdings nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftsstrategisch für Europa von Bedeutung, so das Resümee. Verwiesen wird hier vor allem auf die Energiesicherheit. Will die EU die Nabucco-Pipeline verwirklichen, um seine Gasabhängigkeit von Russland zu reduzieren, benötigt sie die Türkei. Ankara, so lesen sich die Berichte unter Federführung von Erweiterungskommissar Olli Rehn, mag bei manchen internen Reformen nachhinken, doch wäre das Land für die EU ein willkommener Stabilitätsfaktor. Als „funktionierende Marktwirtschaft“ habe die Türkei den Auswirkungen der gegenwärtigen Finanzkrise „vergleichsweise gut“ widerstanden. Diese Einschätzung teilen freilich nicht alle Experten. Viele sehen Probleme für das Land, vor allem durch versiegende internationale Finanzflüsse.

Motivation für Reformen

Für die Regierung in Ankara soll der in weiten Teilen positive EU-Bericht offenbar die Motivation erhöhen, interne Reformen zu beschleunigen. Denn hier gab es seit Jahren zu wenig Fortschritte. Positiv wird lediglich hervorgehoben, dass es Verbesserungen in der Meinungs- und Religionsfreiheit gab. Strafverfahren wegen „Beleidigung des Türkentums“ seien zurückgegangen. Das neue Stiftungsrecht erlaube auch nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften Eigentum. Die EU-Kommission bemängelt allerdings, dass noch eine umfassende Reform ausständig sei.

Als „ernstes Problem“ wird die Gewalt in Familien samt Ehrenmorden bezeichnet. Auch „Berichte über Folter und Misshandlung“ durch Sicherheitsbehörden seien ein „Grund zur Sorge“. Im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Korruption habe die Regierung bisher zu wenig getan, um „europäische Standards“ zu erfüllen.

Überhaupt keinen Fortschritt ortet der Bericht bei den schwierigen Beziehungen zur Republik Zypern. Die Türkei verweigert einem Mitgliedsland der EU nicht nur die diplomatische Anerkennung, sondern auch den Zugang zu seinen Schiffs- und Flughäfen. Mehrere Kapitel der Beitrittsverhandlungen bleiben deshalb weiterhin blockiert.

LEXIKON

EU-Beitrittsverhandlungen. Bisher wurden acht Kapitel mit der Türkei eröffnet und bereits eines abgeschlossen. Insgesamt muss eine Einigung über 35 Kapitel gefunden werden. Vor 2013 ist nicht mit einem Abschluss der Verhandlungen zu rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2008)

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