Neue Medien: Europäischer Wahlkampf 2.0

(c) Reuters (Vincent Kessler)
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Von Kommissions-Präsident José Barroso bis zu Österreichs EU-Abgeordneten: Immer mehr Politiker präsentieren sich auf Facebook. Wie die Internet-Plattform zu einem Schauplatz des EU-Wahlkampfs 2009 wird.

BRÜSSEL. Hey, yo – auf Facebook, im Poesiealbum der Jetztzeit, dominiert der locker-jugendliche Ton. Was machen die Teilnehmer auf der Internet-Plattform am Wochenende? Welche Musik hören sie gern? Alles wird öffentlich. Zielpublikum: User ab 15 Jahren, die meisten sind in ihren Zwanzigern oder Dreißigern. Inzwischen hat auch die europäische Politiker- und Bürokratenwelt Facebook mit seinen heute rund 150 Millionen Benutzern für sich entdeckt. Ein Profil, also einen Eintrag mit Namen, Fotos, Hobbys, hat eben nicht nur die Schulfreundin oder der Studienkollege, sondern auch die Elite der EU-Welt. Schau mich an, verlink dich mit mir, kommentiere meinen Status, so lautet das Motto unter den Teilnehmern. Allen voran aus der Politkaste Europas mit dabei ist José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, der obersten Verwaltungsbehörde Europas.

Warum er sich auf Facebook präsentiert? Ist es „nur“ die Bürgernähe, welche die EU-Kommission gern für sich beansprucht, aber laut Umfragen kaum erreicht? Im November 2009 wird die nächste EU-Kommission für fünf Jahre bestellt. Chef der Behörde will erneut Barroso werden. Dafür braucht er die Bestellung durch die EU-Regierungen. Doch auch ein wenig Rückhalt aus der Generation „2.0“, also der Gemeinde der Internet-Freaks, kann nicht schaden.

Barroso: Maoist 1976

Wer auf de.facebook.com „José Manuel Barroso“ eintippt, wird mit einem üppigen Eintrag belohnt – der freilich nicht von ihm persönlich, sondern auch von seinem Team stammen könnte, einen Kommentar seiner Pressesprecher gab es dazu nicht. „Männlich, 23. März 1956, Heimatort: Lissabon, Portugal“ steht auf Barrosos Seite. Erstklassiger Lebenslauf. Ein wenig gestört wird das vermeintlich harmonische Bild dadurch, dass die Seite auch ein Foto zeigt, auf dem der heute überzeugte Konservative als „junger, leidenschaftlicher Maoisten-Studentenführer im Jahr 1976“ zu sehen ist. Hat das etwa der politische Feind auf Barrosos Seite gesetzt? Auf Facebook ist eben fast alles möglich. Urheberrechtliche Verstöße will der gleichnamige Betreiber, die US-Firma Facebook, aber mit Löschen oder sogar Ausschluss des Schuldigen aus der Plattform-Community ahnden.

Auch Österreichs EU-Abgeordnete tragen sich zunehmend auf Facebook ein – oder sie werden von ihren Presseverantwortlichen eingetragen. Hannes Swoboda, die Frontfigur der SPÖ-Delegation neben der Abgeordneten Maria Berger, ist im digitalen Poesiealbum ebenso vertreten („Wir wollen präsent sein“, so eine Sprecherin) wie ÖVP-Medienexperte Paul Rübig. „Paul hat 18 Freunde“, hieß es zuletzt auf dessen Seite. „Hannes hat noch keine Freunde“, hingegen auf Swobodas Seite.

Quoten-Queen aus der Gruppe der 18 österreichischen EU-Parlamentarier ist derzeit Eva Lichtenberger, die Nummer zwei der Grünen im EU-Parlament: Auf ihrer Facebook-Seite kommt sie auf mehr als 1000 Freunde, ein Großteil sind EU-Abgeordnete aus anderen Ländern (kein Österreicher). „Ich habe mir eine Facebook-Seite zugelegt, um näher an den Bürgern dranzusein und die Möglichkeit zu bieten, mir direkt zu schreiben! Nehmt euch kein Blatt vor den Mund!“, so ermuntert sie die User auf ihrer Seite. Lichtenberger zur „Presse“: „Es ist toll, wenn Fragen zurückkommen – von der Tulpensubventionierung in der EU bis zum Arbeitnehmerschutz.“

Dichand als falscher „Freund“?

Außer Swoboda, Rübig und Lichtenberger hat von Österreichs EU-Parlamentariern auch der Grüne Johannes Voggenhuber eine Seite, außerdem zählt er zwei Fangruppen. Alle anderen Mandatare vertrauen (nur) auf eine gemeinsame Seite aller 18 Abgeordneten: „Europäisches Parlament Österreich“ heißt diese, Autorin ist die Vertretung des EU-Parlaments in Wien. Diese wirbt damit um die Teilnahme an der EU-Wahl am 7. Juni. Unter den verlinkten „Freunden“, so freut sich die Vertretung, „Krone“-Chef Hans Dichand, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer.

Aber sind diese Einträge auch alle echt? In Dichands Büro konnte man das „nicht auf die Schnelle verifizieren“. Molterers Team dementiert den Facebook-Auftritt.

Was kann ein Auftritt auf der digitalen Plattform den Politikern überhaupt bringen? Am 7. Juni sind erstmals auch 16- und 17- Jährige wahlberechtigt. Alle unter 30-Jährigen zusammen machen rund zwölf Prozent der sechs Millionen Wahlberechtigten aus.

Das Internet sei nicht nur eine Chance der Parteien, Junge längerfristig an sich zu binden. Sondern es wäre auch im Kampf gegen eine sinkende Wahlbeteiligung wichtig, glaubt Peter Filzmaier, Politikwissenschaftler an der Donau-Universität Krems. Facebook könne dazu führen, speziell jugendliche Wähler zu mobilisieren. Denn „traditionellen Medien“ wie dem Fernsehen mit seinen Nachrichten würden diese eher fernbleiben. Das Internet hingegen würden sie wegen seiner Interaktivität schätzen: Sich zu verlinken und einander mitzuteilen, mache den Usern Spaß. Und Parteien hätten via Facebook die Möglichkeit, Daten oder Informationen zu sammeln.

Gefahr „Inzestdebatte“

Die Gefahr von Internet-Auftritten laut Filzmaier: Sie könnten zu einer „Inzestdebatte einer Fachöffentlichkeit“ führen. Das heißt: Jungfunktionäre könnten den Auftritt „ihrer“ Politiker gestalten – und am Ende wieder mit ihresgleichen kommunizieren, ob mit Funktionären der eigenen oder einer anderen Partei. Der Experte: „Vor allem bei ganz professionellen Seiten trauen sich Außenseiter kaum noch, sich einzumischen.“

HINTERGRUND

Das US-UnternehmenFacebook existiert seit 2004, seit dem Vorjahr gibt es dieses größte „soziale Netzwerk“ im Internet auch auf Deutsch (de.facebook.com). Den Betreibern zufolge zählt Facebook inzwischen 150 Millionen Mitglieder weltweit, die sich entweder selbst oder – als Fans – andere mit persönlichen Daten, Vorlieben oder Fotos präsentieren.

In den vergangenen Monaten haben vermehrt auch Politiker den Wert der Internet-Plattform für sich entdeckt. Viele hoffen, dadurch einen besseren Kontakt zu den Wählern zu erhalten. Ein Austausch ist unter anderem per Chat oder Eintrag auf einer Pinnwand möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2009)

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