Großbritannien: Blamage für Cameron im Unterhaus

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BRITAIN ARMISTICE DAY(c) APA/EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA (FACUNDO ARRIZABALAGA)
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Die Regierung will an einem Teil der EU-Zusammenarbeit doch wieder mitwirken und versuchte, den Europäischen Haftbefehl darin zu verstecken.

London. Die britische Europadebatte wird immer absurder: Was angesichts einer sicheren Mehrheit eine Routinedebatte hätte sein sollen, wurde im britischen Unterhaus in der Nacht auf Dienstag zu einer handfesten Blamage für die regierenden Konservativen. Vor zwei Jahren hatte Großbritannien die EU-Zusammenarbeit in 133 Feldern des Bereichs Justiz und Inneres aufgekündigt (Opt-out). Das war ein Fehler, den man nun mit einem Wiederbeitritt (Opt-in) zu 35Kapiteln korrigieren wollte, darunter auch der Europäische Haftbefehl. Er sieht vor, dass eine Festnahme europaweit angeordnet werden kann. Das betrifft auch britische Bürger, die von anderen Mitgliedstaaten gesucht werden.

Die Mehrheit dafür war sicher, denn der liberale Regierungspartner und die oppositionelle Labour Party signalisierten ihre Zustimmung. Dennoch „vergaß“ man in der Gesetzesvorlage, die dem Unterhaus Montagabend präsentiert wurde, den in Großbritannien heftig diskutierten Haftbefehl auszuweisen. An ein Versehen mochte freilich niemand glauben: Die Versicherung von Innenministerin Theresa May, von der Zustimmung seien „dem Geiste nach“ alle 35 Maßnahmen betroffen, sorgte nur für zusätzliche Empörung, hatte doch Premierminister David Cameron noch vor zwei Wochen im Parlament gelobt: „Dieses Haus wird über den Europäischen Haftbefehl abstimmen. Punktum.“

„EU nicht um jeden Preis“

Nur durch eine Notaktion, für die der Premier von einem Festbankett ins Parlament geholt wurde, konnte eine Abstimmungsniederlage der Regierung verhindert werden. Die Zustimmung zu den 35 Maßnahmen erfolgte schließlich mit überwältigender Mehrheit. Doch die Labour Party hat Lunte gerochen: Am kommenden Mittwoch, an dem sie das Recht hat, eine Vorlage zur Abstimmung zu bringen, will sie nun den Haftbefehl erneut einbringen. Besonders peinlich für die Tories: Einen Tag danach droht bei der Nachwahl in Rochester der Verlust eines Wahlkreises an einen Überläufer zur rechtspopulistischen UKIP.

Doch die Europagegner bestimmen mittlerweile den Ton des Premiers. In einer Rede vor der britischen Industrie trat Cameron gegen Stimmen aus der Wirtschaft auf, die einen europafreundlicheren Kurs forderten, und sagte: „Unsere Zukunft in Europa zählt für uns. Aber im Moment läuft es nicht rund, und deshalb müssen wir Änderungen vornehmen. Dabei gilt: Einfach nur um jeden Preis dabei sein, ist keine Strategie.“

Eine willkommene Nachricht stellte für Cameron gestern die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dar, wonach EU-Staaten das Recht haben, Staatsbürgern anderer EU-Staaten einzelne Sozialleistungen zu verwehren. Genau das fordert der britische Premier vehement im Kampf gegen den angeblichen „Sozialtourismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2014)

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