EuGH: Aus für Sozialhilfe an EU-Zuwanderer

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Deutschland darf EU-Bürgern, die noch nicht im Land gearbeitet haben, die Grundsicherung verwehren. Gleichstellung bei Sozialleistungen gibt es nur für Arbeitswillige.

Luxemburg. EU-Bürger, die in ein anderes Mitgliedsland ziehen, haben nicht automatisch Anspruch auf alle im Gastland vorgesehenen Sozialleistungen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag entschieden. Damit wird ein Kapitel im Fall einer Rumänin und ihres Sohnes geschlossen, der in Deutschland für hohe emotionale Wellen gesorgt hatte. Vor allem die CSU sprach sich strikt gegen die Gleichbehandlung von EU-Bürgern bei Sozialleistungen aus. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer und der ehemalige Innenminister Hans-Peter Friedrich forderten sogar Präventivmaßnahmen und die Möglichkeit der sofortigen Ausweisung von EU-Bürgern, die versucht haben, das deutsche Sozialsystem auszunutzen.

Der EuGH hat sich nun hinter die Behörden in Leipzig gestellt, die der rumänischen Staatsangehörigen die Grundsicherung (Harz IV) verweigert hatten. Die Frau war mit ihrem Sohn nach Deutschland eingereist, ohne hier eine Arbeit zu suchen. Sie kam bei ihrer Schwester unter, die sie mit Naturalien versorgte. Die Frau erhielt zwar ein Kindergeld von monatlich 184 Euro und einen Unterhaltsvorschuss von monatlich 133 Euro, der Zugang zur Grundsicherung, wie sie alle sozial gefährdeten deutschen Staatsbürger beantragen können, wurde ihr aber nicht zuerkannt. Die Rumänin klagte vor einem Leipziger Gericht, das zur Klärung den EuGH anrief.

Der Gerichtshof in Luxemburg argumentiert nun, dass Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten eine Gleichbehandlung nur verlangen können, wenn ihr Aufenthalt die Voraussetzung der „Unionsbürgerrichtlinie“ erfüllt. Laut dieser Richtlinie muss eine eingereiste Person entweder über ausreichend Eigenmittel verfügen oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Ausdrücklich verweist der EuGH darauf, dass die Mitgliedstaaten in den ersten drei Monaten des Aufenthalts zu keiner Sozialhilfe verpflichtet seien. Auch danach mache die Richtlinie einen Anspruch davon abhängig, dass nicht erwerbstätige Personen über ausreichend eigene Existenzmittel verfügten. „Damit soll verhindert werden, dass nicht erwerbstätige Unionsbürger das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmelandes zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch nehmen“, heißt es in der EuGH-Begründung.

Indirekt wird damit auch die heimische Gesetzgebung durch den EuGH abgesegnet. In Österreich müssen sich – im Unterschied zu Deutschland – auch EU-Bürger bei der Fremdenpolizei melden. Haben sie keine Beschäftigung, müssen sie über genug Finanzmittel verfügen, sonst können sie abgeschoben werden. Konkret müssen sie zumindest ein monatliches Einkommen von derzeit mindestens 837 Euro vorweisen, um bleiben zu dürfen. Das entspricht der Höhe der Mindestsicherung. Anspruch auf Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld haben sie erst, nachdem sie in das österreichische System eingezahlt haben. In- und Ausländer erhalten erst Zahlungen aus der Arbeitslosenversicherung, wenn sie mindestens 52 Wochen einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.

Einzelprüfung notwendig

In Deutschland wurden nach Medienberichten zum Fall der Rumänin von der CSU Forderungen nach generellen Einschränkungen für den Zuzug von EU-Bürgern laut. Für heftige Attacken gegen Brüssel sorgte insbesondere die Ansicht der EU-Kommission, dass kein Land einen EU-Bürger ohne individuelle Prüfung abschieben dürfe. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer behauptete, die EU-Kommission wolle damit einen „Freifahrtschein in das deutsche Sozialsystem“ ausstellen. Der Europäische Gerichtshof kommt nun zum Schluss, dass jedes Gastland zwar den zugewanderten EU-Bürgern einzelne „beitragsungebundene Geldleistungen“ verweigern darf. Allerdings müsse, so wie es die Kommission verlangt hatte, jeder Fall einzeln geprüft werden. (wb, ag)

AUF EINEN BLICK

EuGH-Entscheid. Jedes Mitgliedsland kann künftig „beitragsungebundene“ Sozialleistungen wie etwa die Grundsicherung Zuwanderern aus der EU verweigern. Allerdings nur, wenn diese nicht arbeiten oder über keine finanzielle Grundlage verfügen. Jeder Fall muss weiterhin einzeln geprüft werden. Eine generelle Abschiebung von EU-Bürgern, denen vorgeworfen wird, das Sozialsystem auszunutzen, ist nicht möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2014)

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