Kommission will Umweltvorhaben zurückziehen

LUXEMBOURG EU COURT OF JUSTICE
LUXEMBOURG EU COURT OF JUSTICE(c) APA/EPA/JULIEN WARNAND (JULIEN WARNAND)
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Entrümpelung. Brüssel streicht Neuregelungen, die mehr Bürokratie oder Belastungen für die Wirtschaft bedeutet hätten. Grüne und Umweltminister laufen dagegen Sturm.

Wien/Brüssel. Frans Timmermans, dem ersten Vizepräsidenten der neuen EU-Kommission, war die Sensibilität des Themas offenbar bewusst. Als er dem Kommissarskollegium diese Woche eine Liste von insgesamt 80 Regulierungsvorhaben präsentierte, die nun zurückgezogen werden sollen, ließ er das Papier anschließend wieder einsammeln. Es sollte nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Denn auf der Liste, die nun der „Presse“ vorliegt, finden sich Gesetzesvorhaben in den Bereichen Umwelt und Soziales, die für eine breite Bevölkerungsschicht durchaus attraktiv wären. Unter anderem soll das Gesetzespaket zur Kreislaufwirtschaft gekippt werden, mit dem sich alle Mitgliedstaaten verpflichten würden, 80 Prozent der Verpackungsabfälle wiederzuverwerten. Ziel der Initiative unter dem Namen „A Zero Waste Programm for Europe“ wäre nicht nur eine Reduzierung des Abfalls, sondern auch das Einsparen von Rohstoffen. Langfristig sollten beispielsweise in der Fahrzeugproduktion nur noch Stoffe verwendet werden, die wiederverwertbar sind.

Ähnlich steht es um das von der vergangenen Kommission vorbereitete Regulierungspaket zur Erhöhung der Luftqualität. Auch dieser Teil des „EU-Energie- und Klimaschutzpakets 2030“ soll gestrichen werden. Die Initiative hätte strengere nationale Höchstwerte bei Schadstoffen bedeutet. Wie der Internetdienst Euractiv berichtet, laufen bereits mehrere Umweltminister gegen die Streichung Sturm. In einem gemeinsamen Brief haben die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und ihre Kollegen aus Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien und Zypern gefordert, an den Initiativen für die Kreislaufwirtschaft und für eine Verbesserung der Luftqualität festzuhalten.

Lunacek kritisiert Juncker

„Kommissionspräsident Juncker hat auf Drängen des Europaparlaments versprochen, die Nachhaltigkeit in sein Arbeitsprogramm aufzunehmen – jetzt macht er genau das Gegenteil“, kritisiert die grüne Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek. Die Maßnahmen zur Kreislaufwirtschaft hätten zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. „Das war ein Plan, in dem Umwelt und Wirtschaft auf einen Nenner gebracht wurden.“ Lunacek fordert Umweltminister Andrä Rupprechter und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner auf, ebenso wie ihre Kollegen aus elf anderen Ländern, auf einer Umsetzung der Vorhaben zu bestehen.

Die EU-Kommission argumentiert mit der von vielen Mitgliedstaaten geforderten Entrümpelung der EU-Reglements und der notwendigen Reduzierung des bürokratischen Aufwands. Gestrichen sollen vor allem Neuregelungen werden, für die sich sowieso keine Einigung unter den Mitgliedstaaten abzeichne. Allerdings sind auch soziale Gesetzesinitiativen von dieser Entrümpelung betroffen. So findet sich auf Timmermans Streichungsliste der ausgeweitete Schutz für Schwangere am Arbeitsplatz.

Gegen viele dieser Neuregelungen hatte sich zuletzt die Vertretung der europäischen Industrie in Brüssel (Businesseurope) ausgesprochen. In einem Brief an Timmermans forderte Businesseurope erst vor wenigen Tagen ein Aus für die Regeln zur Kreislaufwirtschaft, den Verzicht auf Regelungen für eine verbesserte Luftqualität und eine Streichung des ausgeweiteten Schwangerenschutzes – jeweils mit Hinweis auf die Mehrbelastungen für Unternehmen.

Businesseurope hat allerdings nicht von sich aus agiert. Timmermans hatte die wichtigsten Interessenvertretungen in Brüssel aufgefordert, ihm eine Liste jener EU-Vorhaben zu übersenden, die sie für unnötig oder kontraproduktiv erachten.

Aus der EU-Kommission hieß es am Freitag auf Anfrage der „Presse“, dass die Streichung der Gesetzesvorhaben noch nicht beschlossen sei. Es handle sich um einen „Prozess“ im Rahmen der Bemühungen um eine effizientere Regulierung, der fortgesetzt werde. Am kommenden Dienstag soll intern erneut über die Streichung von Vorhaben beraten werden. Die endgültige Entscheidung, so versicherte ein Vertreter der EU-Kommission, werde mit dem Rat (Vertretung der Mitgliedstaaten) und dem Europaparlament abgesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2014)

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