Fischler: „...als wäre die EU etwas Fremdes“

ORF-Programmschwerpunkt ?20 Jahre EU-Beitritt? im Haus der Europ�ischen Union pr�sentiert
ORF-Programmschwerpunkt ?20 Jahre EU-Beitritt? im Haus der Europ�ischen Union pr�sentiert(c) ORF (Günther Pichlkostner)
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Österreichs früherer EU-Kommissar, Franz Fischler, warnt davor, die Union als Sündenbock zu missbrauchen. In der Außenpolitik räche sich, Russland vernachlässigt und verunsichert zu haben.

Die Presse: Vor 20 Jahren war der EU-Beitritt Österreichs so etwas wie eine Liebesheirat. Mittlerweile ist diese Liebe erkaltet. Heute sehen viele bestenfalls ein Zweckbündnis, manche wollen die Scheidung. Was ist falsch gelaufen?

Franz Fischler: Das war ein kurzfristiges Aufflackern einer großen Liebe. Bis zwei, drei Wochen vor der Volksabstimmung hat man um eine Mehrheit gebangt. Daher war die Überraschung über das Ergebnis (zwei-Dritte-Mehrheit dafür; Anm.) so groß. 1995 sind Dinge ans Tageslicht gekommen, bei denen von der Politik zu farbige Zusagen gemacht wurden, etwa was den Weiterbestand des anonymen Sparbuchs betrifft. Da sind Stimmen laut geworden, man hätte der Bevölkerung nicht die volle Wahrheit gesagt.

War die Politik in manchen Punkten nicht tatsächlich unredlich?

In dem einen oder anderen Punkt hat man zu wenig klare Antworten gegeben. Jetzt werden die Ursachen der Krise der EU zugeschrieben, wobei wir in einer globalen Krise stehen, die nicht von Europa, sondern Amerika ausgegangen ist. Es wird eine Erwartungshaltung geschürt: Die EU muss die Beschäftigungsfrage lösen, die Wachstumsfrage. Das sind alles Dinge, die die EU als Institution gar nicht leisten kann.

Was kann die EU in der Krise dann überhaupt leisten?

Der Kern scheint, dass man die EU wie einen 29. Mitgliedstaat behandelt. Man hat völlig aufgegeben, Österreich als Teil der EU zu begreifen.

Woran können Sie die Kritik festmachen?

Man versucht, zu vermitteln, dass das deren Job in Brüssel ist und uns in Wien nichts angeht.


Kommt nicht hinzu, dass Dinge beschlossen werden wie Verhandlungen über das Handelsabkommen mit den USA, die in Wien anders argumentiert werden?

Völlig richtig. Das ist dieser Trick, zu tun, als wäre die EU etwas Fremdes. In der Regel tun die Politiker zurück in ihren Nationalstaaten so, als wären sie gar nicht dabei gewesen.

Ist ein derartiges Verhalten nicht machtpolitisch verständlich, solange es eben Nationalstaaten gibt?

Es führt dazu, dass wir als Europäische Union kein Gemeinschaftsgefühl entwickeln und Europa als Sündenbock missbrauchen. Dazu kommt, dass gerade seit der Krise die Regierungschefs dazu übergegangen sind, Entscheidungen außerhalb der europäischen Institutionen zu fällen. Das ist alles andere als gemeinschaftsfördernd.

Apropos: Ist es gemeinschaftsfördernd, wenn am Mittwoch die deutsche Regierung die Pkw-Maut beschlossen hat, die nur Bürger anderer EU-Staaten trifft?

Das ist wohl selbsterklärend, dass das nicht der Fall ist. Gott sei Dank gibt es rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.


Ist das nicht ein Beispiel für das Wiedererstarken nationalstaatlichen Denkens?

Ja, Versuche einer Art Renationalisierung gibt es. Da gibt es sehr drastische Beispiele, dass der Wert der Gemeinschaft zugunsten der Nationalstaaten zurückgeht, wie das Verhalten Großbritanniens oder Ungarns.

Eine sehr hypothetische Frage, aber vielleicht ist eine Antwort möglich: Wo würde Österreich ohne EU-Mitgliedschaft stehen? Gibt es ein Heil außerhalb der EU?

Es gibt sicher ein Leben außerhalb der EU, wie uns andere vorleben. Österreich ist jenes Land, dem die Tatsache, innerhalb der EU zu sein, am meisten gebracht hat. Österreich wäre ohne Mitgliedschaft viel ärmer, der Wohlstand würde sich etwas über dem Niveau der Tschechen eingependelt haben.

Die Europäische Union wurde von Beginn an als Friedensprojekt verstanden. Derzeit herrscht wegen der Ukraine-Krise Eiszeit zwischen der EU und Russland. Hat nicht auch die EU Fehler gemacht, der Ukraine zu viel versprochen?

Die Europäische Union hat in ihrer Außenpolitik Russland vernachlässigt. Das rächt sich sehr stark. Regierungschefs und Außenminister haben unterschiedliche Botschaften abgesetzt. Die Europäische Union hat zu gewisser Verunsicherung Russlands beigetragen. Selbst Gorbatschow hat darauf hingewiesen, dass rund um den Mauerfall den Russen Versprechungen gemacht wurden, die nicht eingehalten wurden...

Sie sprechen die Nato-Osterweiterung an.

Das ist eines der Themen. Die Russen haben ein Elefantengedächtnis. Das ist keine Entschuldigung für das Verhalten in der Ukraine. Auch die Russen waren gegenüber der Ukraine wortbrüchig, weil sie zugesagt haben, die Grenzen zu respektieren. Die Sanktionen haben nur Sinn, wenn sie mit diplomatischer Offensive verbunden sind.

Wie sieht Ihre Vision der Europäischen Union in 20 Jahren aus?

In 20 Jahren wird der Balkan im Wesentlichen – bei Bosnien und Herzegowina bin ich mir nicht sicher – integriert sein. Weitere Erweiterungen werden nicht in Sicht sein.

Was ist mit der Türkei?

Die wird auch in 20 Jahren nicht Mitglied sein. Zweitens wird in 20 Jahren die Koordination in Wirtschafts-, Finanz- und Budgetpolitik intensiver sein. Drittens wird die Europäische Union stärker gemeinsame Richtlinien über soziale Fragen haben. All das wird es geben, wenn es die massive Bereitschaft gibt, für das gemeinsame Europa zu arbeiten. Das Gefährliche ist: Vor 20 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen zu sagen, es könnte sein, dass es zu einer Desintegration kommt.

Ohne despektierlich sein zu wollen: Klingen angesichts der Renationalisierungstendenzen Ihre Visionen nicht wie die berühmten Wünsche ans Christkind?

Ich denke, dass am Ende doch die Vernunft siegt und erkannt wird, dass die Vorteile des Gemeinsamen größer sind.

ZUR PERSON

Franz Fischler war der erste österreichische EU-Kommissar, zuständig für die Agrarpolitik. Zuvor war der Tiroler seit dem Jahr 1989 Landwirtschaftsminister in der Regierung Franz Vranitzky. Seit 2012 ist Fischler Präsident des Europäischen Forums Alpbach. [ Clemens Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

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