Barroso übt scharfe Kritik an Regierungschefs

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Nur wenige EU-Gipfelteilnehmer hätten einen Überblick, und sie verleugneten die gemeinsam getroffenen Entscheidungen.

Brüssel. Der ehemalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso rechnet mit den Staats- und Regierungschefs der EU ab. In einem Interview mit der „Welt“ kritisiert er ihr Auftreten bei EU-Gipfeltreffen und die verweigerte Übernahme von politischer Verantwortung. „Nur wenige Gipfelteilnehmer haben einen Überblick und ein Gesamtkonzept“, so Barroso. „Kleine und mittlere Mitgliedstaaten kommen oft nur wegen eines einzigen, konkreten Anliegens in die Ratstagung, andere ganz ohne echtes Interesse.“

Barroso, der während seiner Amtszeit jedes kritische Wort gegen einzelne EU-Regierungen vermied, macht nun seinem langjährigen Ärger Luft. „Wir können nicht hinnehmen, dass Regierungen systematisch Entscheidungen verleugnen, die sie selbst getroffen haben. Das ist intellektuell und politisch unehrlich.“ Mehrfach hätten die Staats- und Regierungschefs in Brüssel schwierige Entscheidungen mit abgesegnet. Als Beispiel nennt Barroso die französische Regierung. „Und oft genug präsentierte sie das dann zu Hause so, als ginge sie das gar nichts an, als hätte eine fremde Macht etwas entschieden.“

Als größte Herausforderung seiner zehnjährigen Amtszeit nannte Barroso die Finanz- und Schuldenkrise. Die EU habe sich dadurch aber auch weiterentwickelt. „Der Trend ging klar zu einer tieferen Integration der Europäischen Union als je zuvor, einer Integration, die uns kommende Krisen besser vermeiden lässt.“ Als Beispiel nannte er die Koordination der Wirtschaftspolitik, die Bankenunion und den Euro-Rettungsschirm.

Von den USA, China und Russland habe es viel Zweifel gegeben, ob die Europäische Union diese Krise durchstehen werde. Barroso erinnert sich im Interview an ein Gespräch mit dem russischen Präsidenten: „Wladimir Putin fragte mich 2012: Sag mir, ob ich unsere Euro-Devisenreserven besser verkaufen soll. Heute sollte er sich mehr Sorgen um den Rubel machen.“ (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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