TTIP: Dürfen USA bei Gesetzen mitreden?

Greens top candidate Reimon and Burgenland province governor and top candidate of the Social Democratic Party Niessl prepare for a television discussion after province elections in Eisenstadt
Greens top candidate Reimon and Burgenland province governor and top candidate of the Social Democratic Party Niessl prepare for a television discussion after province elections in Eisenstadt(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Ein bisher geheimer EU-Vorschlag sieht für das Abkommen mit den USA zwei gemeinsame Regulierungsgremien vor. In ihnen soll jede relevante Gesetzgebung vorbesprochen werden.

Wien/Brüssel. Das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) könnte weitreichende Folgen für die Gesetzgebung auf beiden Seiten des Atlantiks haben. Denn in einem bisher geheim gehaltenen Verhandlungsdokument ist ein Frühwarnsystem vorgesehen, das beiden Seiten Einflussmöglichkeiten bei unerwünschten neuen Regulierungen gäbe. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der dieses Dokument vorliegt, berichtet, sollen die USA die Möglichkeit erhalten, auch bei der nationalen oder Ländergesetzgebung intervenieren zu können.

„Das ist ein institutionalisiertes Lobbying, das die Arbeit der Parlamente untergräbt“, warnt der grüne Europaabgeordnete Michel Reimon. Er ist überzeugt, dass dieser Vorschlag vom Europaparlament zurückgewiesen wird. „Die Abgeordneten werden doch nicht ihrer eigenen Entmündigung zustimmen.“

Wie der „Presse“ aus Brüssel bestätigt wurde, sollen zwei von der EU und den USA gemeinsam bestellte Regulierungsgremien eingerichtet werden. Eines für den Finanzmarkt und eines für alle weiteren Handelsfragen. In diesem Regulatory Cooperation Body sollen regelmäßig alle neuen Gesetzesinitiativen beraten werden, die zu einer Einschränkung des gemeinsamen Handels beitragen könnten. Dies würde also auch alle neuen Umwelt- oder Konsumentenschutzgesetze betreffen. Es soll sogar möglich sein, bestehende Gesetze zu beraten oder Vorschläge für deren Abänderung auszuarbeiten. Allerdings könnten diese Vorschläge die Abstimmungen in den nationalen und regionalen Parlamenten nicht obsolet machen oder außer Kraft setzen. Die EU-Kommission argumentiert, dass der USA damit kein Vetorecht eingeräumt werde. Kritiker sind allerdings der Ansicht, dass mit der Errichtung gemeinsamer Regulierungsgremien der Einflussnahme auf europäische Gesetzgebung Tür und Tor geöffnet werde.

Faymann: „Massive Vorbehalte“

Bundeskanzler Werner Faymann meldete am gestrigen Dienstag „massive Vorbehalte“ gegen diese Vorschläge an. „Die EU-Kommission sollte langsam verstehen, dass die massive Kritik an TTIP nicht geringer wird, wenn immer wieder neue Ideen auftauchen, die demokratiepolitisch bedenklich sind und nur Lobbyisten dienen“, sagte Faymann.

Der Vorschlag für die Einrichtung der gemeinsamen Regulierungsgremien ist freilich nicht neu. Bereits im vergangenen Sommer wurde von den Verhandlern angekündigt, dass es einen Abstimmungsmechanismus für neue Gesetze zwischen beiden Vertragspartnern geben soll. Doch nun wurden die konkreten Details vorgelegt. Sie sehen vor, dass kein Gesetz mehr in Europa erlassen werden kann, ohne dass die USA vorab darüber informiert wird. Umgekehrt würde die Regelung genauso gelten: Auch die EU müsste über Gesetzespläne in den USA frühzeitig informiert werden.

In diesem Prozess soll nicht nur den jeweiligen Regierungen, sondern auch betroffenen Personen und Institutionen die Möglichkeit geboten werden, ihre Argumente gegen neue Regelungen einzubringen. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, hätten also Interessengruppen erleichterte Möglichkeiten, an Informationen zu gelangen und auf die Gesetzgebung einzuwirken. Schon bisher versuchen zahlreiche Lobby-Organisationen in Brüssel, das in der Gemeinschaft geltende Recht in ihrem Sinn zu beeinflussen.

Handel soll erleichtert werden

Das Ziel des neuen Vorschlags ist freilich nachvollziehbar. Durch die regulatorische Zusammenarbeit soll der Handel zwischen den USA und der EU erleichtert werden. Denn unterschiedliche gesetzliche Regeln für Produkte oder Dienstleistungen verzerren den Wettbewerb. Zwischen den USA und der EU wurden bereits in der Vergangenheit die meisten Zölle abgebaut. Es bestehen aber noch zahlreiche Handelshemmnisse durch unterschiedliche Standards und Normen.

Da für den Finanzmarkt ein eigenes Gremium zwischen den USA und der EU eingerichtet werden soll, fürchtet der grüne Europaabgeordnete Reimon eine neue Dynamik zur Deregulierung. „Europäische Banken und Versicherungen drängen darauf, die nach der Krise in den USA streng regulierten Finanzmärkte wieder zu öffnen.“ Es sei deshalb zu befürchten, dass die Märkte der demokratischen Kontrolle wieder entzogen würden.

Kritik zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission kam am Dienstag von der SPÖ, den Grünen und der FPÖ. Vertreter der ÖVP meldeten sich nicht zu Wort.

AUF EINEN BLICK

Regulierungsgremium. EU und USA wollen eine gemeinsame Regulierungsbehörde schaffen, die für eine Abstimmung der Gesetzgebung sorgt. So sollen nach einem bisher geheimen Vorschlag ein Gremium für den Finanzmarkt und ein weiteres für sonstige Handelsfragen eingerichtet werden. Kritiker befürchten eine Einflussnahme auf die Gesetzgebung in Europa und eine Umgehung der parlamentarischen Demokratie. Die EU-Kommission verteidigt den Vorschlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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