EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zeigte sich nach einem Besuch in Athen versöhnlich. Zuvor hatte er die Regierung wegen Alleingängen kritisiert.
Athen. Am Vortag hatte sich Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, noch erzürnt über den „Alleingang“ Athens in der Frage der Sanktionen gegen Russland gezeigt. Am Donnerstag in Athen, nach seinem Gespräch mit dem neuen griechischen Premierminister, Alexis Tsipras, von der radikalen Linkspartei Syriza, hörte er sich dann ganz anders an. Da war er beeindruckt von der „Aufrichtigkeit“ des Gesprächs und hoffte, dass Griechenland weiter auf seinem europäischen Kurs bleiben werde. Besonders erfreut wies er auf den Willen Athens hin, der Bekämpfung der Steuerhinterziehung höchste Priorität einzuräumen.
Tsipras zeigte sich nach den vielen Misstönen, für die seine Minister bei der Übernahme ihrer Ämter gesorgt und die einen weiteren Absturz der ohnehin schon im Keller befindlichen Athener Börse verursacht hatten, diesmal in der Wortwahl besonders vorsichtig. Seine Regierung „garantiere die Stabilität“, sagte er, und betonte, dass alle, die in das Gegenteil „investierten“, bald widerlegt werden würden. Auch er sprach von der Bekämpfung des Steuerbetrugs, wobei er wieder seine alte These vertrat, dass die wirtschaftliche Oligarchie, die bisher den Ton angegeben hatte, vom politischen System beschützt worden wäre. Er wünschte sich aber auch ein Europa mit „mehr Solidarität“.
Wird EU-Kommissar Präsident?
Während das erste Abtasten zwischen der neuen Regierung und den Brüsseler Institutionen stattfindet – am Freitag ist auch der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, in Athen zu Gast –, setzt Tsipras im Inland nach wie vor auf Tempo. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass die Syriza-Regierung den griechischen EU-Kommissar, Dimitris Avramopoulos, für das Amt des Staatspräsidenten nominieren wird. Der konservative Politiker ist in der Kommission für Migration und Inneres zuständig, zugleich aber stellvertretender Vorsitzender der griechischen Konservativen (ND), er war ein wichtiger Steigbügelhalter beim Aufstieg des jetzigen ND-Chefs, Antonis Samaras, in die Parteispitze. Diese Nominierung wäre nicht nur ein Signal für die Überbrückung der starken Polarisierung zwischen ND und Syriza, sie brächte auch die konservative Partei unter Zugzwang. Ein Teil ihrer Abgeordneten wäre bereit, für Avramopoulos zu stimmen, die Parteispitze unter dem abgewählten Ministerpräsidenten, Antonis Samaras, setzt auf Konfrontation mit der neuen Regierung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2015)