Transatlantischer Freihandel: Auf der Suche nach neuen Stolpersteinen

U.S. Vice President Biden makes a joint statement with European Council President Tusk ahead of a meeting at EU Council headquarters in Brussels
U.S. Vice President Biden makes a joint statement with European Council President Tusk ahead of a meeting at EU Council headquarters in Brussels(c) REUTERS
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Nach den Schutzklauseln für Investoren im Handelsabkommen TTIP schießen sich Nichtregierungsorganisationen nun auf die geplante regulatorische Zusammenarbeit zwischen EU und USA ein.

Brüssel. Europa läuft Gefahr, den transatlantischen Handel ausschließlich als Bedrohung zu betrachten und die positiven Aspekte eines Abkommens mit den USA auszublenden – diese Warnung richtet Anthony Gardner, seines Zeichens EU-Botschafter der Vereinigten Staaten, an die Verhandlungsführer der EU. Zu viel Energie sei dafür aufgewendet worden, der Bevölkerung zu versichern, „welche europäischen Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards nicht gefährdet sind“, sagte der Diplomat am Vorabend des gestrigen Besuchs von US-Vizepräsident Joe Biden in Brüssel. Gardners Fazit: Die EU muss sich schleunigst bewusst werden, dass sie in den Gesprächen mit den USA auch offensive Interessen hat.

Der Weckruf kommt nicht von ungefähr, denn die Verhandlungen über die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone kommen derzeit nicht recht vom Fleck. Am Freitag, zeitgleich mit Bidens Visite, ging in Brüssel die bereits achte TTIP-Verhandlungsrunde zu Ende. Während Barack Obamas Vize mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk neben TTIP über die Lage in der Ostukraine (siehe Thema Seiten 1–3), Energiepolitik und die Bekämpfung des Terrorismus parlierte, ging es bei den Gesprächen der Wirtschaftsdiplomaten unter anderem um Zölle, die Vergabe öffentlicher Aufträge, Dienstleistungen sowie die Harmonisierung von Regeln und Vorschriften – nach Auskunft des EU-Chefverhandlers, Ignacio Garcia Bercero, liegen nun punkto technische Harmonisierung und Sanitärvorschriften konkrete Verhandlungsvorschläge auf dem Tisch. Nichtsdestoweniger sei es notwendig, bei den Verhandlungen einen Gang höher zu schalten, sagte der US-Verhandler Dan Mullaney. Um dies zu ermöglichen, sollen bis zur Sommerpause zwei zusätzliche Verhandlungsrunden eingeschoben werden. Denn vom ursprünglichen Ziel, die Verhandlungen bis Jahresende abzuschließen, scheint man noch meilenweit entfernt zu sein. „Wir haben klare Anweisungen, die Gespräche zu intensivieren“, so Garcia Bercero.

Die von Gardner eingangs beklagte europäische Verteidigungshaltung scheint die größte Hürde auf dem Weg zu einer Einigung zu sein. Man könnte sie auch als Schockstarre bezeichnen – denn ähnlich wie beim (2012 gescheiterten) Anti-Piraterie-Abkommen ACTA scheinen die EU-Entscheidungsträger die Protestwelle falsch eingeschätzt zu haben. Nach der europaweiten Kampagne gegen Schiedsgerichte für Investoren (das Kapitel liegt vorerst auf Eis) scheinen die Nichtregierungsorganisationen nun ein neues Ziel gefunden zu haben: die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit, bei der es vereinfacht formuliert um einen Abgleich neuer Bestimmungen auf beiden Seiten des Atlantiks geht, bevor diese beschlossen werden. Zu Wochenbeginn starteten 160 NGOs eine Kampagne gegen die regulatorische Zusammenarbeit. Ihr Vorwurf: Lobbyisten und Konzerne würden dadurch die Gesetzgebung nach ihren Vorstellungen formen und die Demokratie in Europa aushebeln können.

Grüne an vorderster Front

In Österreich, wo der Widerstand gegen TTIP bekanntlich besonders groß ist, machen an vorderster Front die Grünen gegen derlei Vereinbarungen mobil. Sie beschuldigen die Verhandler des Wirtschaftsministeriums, eine im Nationalrat gemeinsam beschlossene Position in Brüssel nicht ausreichend zu vertreten. Ein Entschließungsantrag des Parlaments, der sich laut Finanzsprecher Werner Kogler insbesondere gegen die Investorenschutzklauseln richtet, werde von heimischen Beamten nicht in die Ratsarbeitsgruppen transportiert. Das Ministerium dementiert vehement: Die zuständigen Stellen in Brüssel und Wien seien unmittelbar informiert worden, hieß es. Ohne finale Zustimmung des Nationalrats dürfte das Freihandelsabkommen aber ohnehin nicht zustande kommen: Selbst die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, – eine TTIP-Befürworterin – spricht sich dafür aus, den Vertrag vor Inkrafttreten in den nationalen Parlamenten der 28 Mitgliedstaaten ratifizieren zu lassen.

Doch der Protest richtet sich von Beginn an nicht nur gegen die Inhalte des geplanten Abkommens. Kritik hagelt es auch wegen der besonders von NGOs monierten mangelnden Transparenz bei den Verhandlungen der Kommission mit Washington. Das Nachrichtenportal Euractiv berichtete in dieser Woche, dass mehrere NGOs Beschwerde bei der europäischen Bürgerbeauftragten Emily O'Reilly eingebracht hätten: Die zuständige Handelskommissarin, Cecilia Malmström, habe sich geweigert, Positionspapiere zu den Schiedsgerichten und der Zusammenarbeit in Fragen des Energiesektors, der Lebensmittelsicherheit und der nachhaltigen Entwicklung freizugeben, so der Vorwurf – und damit wesentliche Transparenzverpflichtungen verletzt. Ob es eine Untersuchung durch die Bürgerbeauftragte geben wird, ist noch nicht sicher – laut Angaben von Euractiv erfüllt „die Beschwerde aber die Bedingungen für die Einleitung einer Untersuchung“.

AUF EINEN BLICK

In dieser Woche fand die achte Verhandlungsrunde zum umstrittenen Freihandelsabkommen der EU mit den USA statt. Die Chefverhandler auf beiden Seiten drücken aufs Tempo – denn von dem Ziel, die Verhandlungen bis Jahresende abzuschließen, ist man weit entfernt. Das liegt auch an der zunehmenden Kritik an dem Abkommen, die sich insbesondere gegen die geplanten Investorenschutzklauseln und die sogenannte regulatorische Zusammenarbeit richtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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