Datenschutz: EU stimmt für mehr Überwachung

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Im Kampf gegen den Terror stellt Europa datenschutzrechtliche Bedenken immer weiter hinten an. Bis Jahresende soll eine EU-weite Fluggastdatenspeicherung umgesetzt werden.

Straßburg. Wir schreiben 2015, nicht 1984. Dennoch scheint George Orwells Vision eines absoluten Überwachungsstaates angesichts eines neuen Entschlusses im EU-Parlament aktuell. Bis Jahresende soll ein Gesetz zur Fluggastdatenspeicherung, auch bekannt als PNR (Passenger Name Record), realisiert werden. Es wird angedacht, zusätzlich zu Name, Kreditkartennummer und Adresse der Passagiere auch Details wie Menüwünsche oder anschließende Mietwagenbuchungen aufzuzeichnen.

Bereits kurz nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“ haben sich die EU-Innenminister verständigt, den Austausch und die Speicherung von Passagierdaten im EU-Raum voranzutreiben. Bei einer Abstimmung im Europäischen Parlament vergangenen Mittwoch gaben selbst vehemente Gegner in den Reihen der Sozialdemokraten und Liberalen ihre bisherige Blockadehaltung auf. Auf einem Veto beharrten hingegen die Grünen. Sie sehen Präventionsmaßnahmen als wichtigstes Mittel im Kampf gegen den Terror (siehe Interview mit EU-Mandatarin Ulrike Lunacek).

„Auch ohne dieses Ereignis wären wir über kurz oder lang dort, wo wir heute sind. Die aktuellen Ereignisse beschleunigen bloß das politische Handeln“, ist Heinz Becker, Abgeordneter der Europäischen Volkspartei (EVP), überzeugt. Ebenso wie die Konservativen befürwortet seine Fraktion die vernetzte Fluggastdatenspeicherung schon seit Längerem. Ihr Argument: Längst würden derartige Daten in mehreren Mitgliedstaaten gesammelt. Was fehle, sei jedoch der Austausch zwischen den Behörden, der eine grenzüberschreitende Beschattung von Verdächtigen erleichtere.

Grundrechtliche Bedenken

Alexander Graf Lambsdorff von der liberalen Fraktion, der auch Neos-Abgeordnete Angelika Mlinar angehört, sieht die Situation ähnlich. „PNR ist nicht neu. Es ersetzt nur den nationalen Flickenteppich an Bestimmungen.“ Grundsätzlich sei man gegen mehr Überwachung, habe aber die Resolution unterstützt. Für die Partei, die in ihrem Programm die Wahrung der Bürgerrechte besonders betont, ist diese Entscheidung bemerkenswert. Sie fiel nur unter der Bedingung, Grund- und Freiheitsrechte mit einer Datenschutzverordnung zu wahren. Die Fraktion befürchtet, dass andernfalls alle EU-Bürger unter Generalverdacht stünden.

Auch die Sozialdemokraten unterstützten die Resolution trotz datenrechtlicher Bedenken. „Wir waren nie gegen eine Fluggastdatenspeicherung – nur gegen eine, die den Grundrechten widerspricht“, sagt SPÖ-EU-Mandatar Josef Weidenholzer. Er verweist auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes im April 2014, in dem dieser die Vorratsdatenspeicherung kippte: Die Richtlinie war weder verhältnismäßig noch anlassbezogen. Der PNR-Regelung droht das gleiche Schicksal, sollte sie Bürgerrechte zu sehr beschneiden.

Datenschutzvorrang „idiotisch“

Die EVP – stärkste Verfechterin des PNR im EU-Parlament – bringt datenschutzrechtlichen Bedenken wenig Verständnis entgegen. „Ich diskutiere mit Rot und Grün nicht mehr über diese Datenschutzpriorisierung. Das ist idiotisch. Es muss beides gleichzeitig gelöst werden“, sagt etwa Becker. In EVP-Kreisen lässt man zudem den Vorwurf, die EU beschließe ausschließlich polizeiliche Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, nicht gelten. Der Eindruck entstehe lediglich dadurch, dass die Union keine sozialpolitische Kompetenz habe und nicht in die Gesellschaftspolitik der Mitgliedsländer eingreifen könne.

Eine Beschneidung der Freiheitsrechte oder gar einen Trend hin zum Orwell'schen Überwachungsstaat sieht auch der EU-Spitzenkandidat der ÖVP, Othmar Karas, nicht. „Es ist nicht alles Freiheit, was man nicht regelt. Es kann eine Regelung notwendig sein, um meine Freiheit zu schützen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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