Syrizas breiter Spagat zwischen Wählerauftrag und Realpolitik

A man holds a placard during a vigil to support the newly elected Greek government
A man holds a placard during a vigil to support the newly elected Greek government(c) REUTERS (RAFAEL MARCHANTE)
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Die Linksregierung verharmlost ihre Verhandlungen in Brüssel, taktiert mit der zeitlichen Abfolge von neuen Gesetzen und versucht, beginnende innere Spannungen abzufedern.

Athen. Ein Antrag nach Brüssel, aber zwei Interpretationen: Während Griechenlands Linksregierung diese Woche ihren mit Spannung erwarteten Antrag auf Verlängerung des laufenden Rettungsprogramms an den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, schickte, stellte sie gleichzeitig sicher, dass der vorsichtige, an entscheidenden Stellen mitunter verschwommene Antrag in Griechenland nicht missverstanden wurde. Aus Regierungskreisen sickerten „Sprachregelungen“ für den Hausgebrauch durch, die weitaus deutlicher ausfielen als das englischsprachige Original. So stellte die Regierung klar, dass man den Darlehensvertrag verlängert habe, nicht aber das Memorandum, also das Sparprogramm mit den verhassten Sparauflagen. Dieser Punkt war für das radikale Regierungslager tatsächlich ein höchst erklärungsbedürftiger Punkt: Im Brief nach Brüssel wurde explizit festgehalten, dass die laufende Vereinbarung anerkannt wird und in den kommenden sechs Monaten erfolgreich zum Abschluss gebracht werden soll.

Ebenfalls enthalten in der griechischen Sprachregelung ist das Wort „Brückenvereinbarung“, das für die deutsche Seite ein rotes Tuch ist, weil es den Bruch des vorhergehenden Programms impliziert. Erwähnt werden auch Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung der humanitären Krise, die im Antrag überhaupt nicht erwähnt werden, und das Ziel der Brückenphase: einen „neuen Pakt für Wiederaufbau und Wachstum in Europa“. Das alles erinnert deutlich an das Wahlprogramm des Radikalen Linksbündnisses (Syriza) vor dessen Wahlsieg am 25. Jänner – im Gegensatz zum Brüsseler Entwurf.

Die neue Linksregierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras hat auch bereits bekannt gemacht, welche Gesetzesvorlagen als erste im griechischen Parlament eingebracht werden sollen: Es handelt sich um die Regelung von geschuldeten Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 76 Milliarden Euro. Parallel dazu, so erklärte der zuständige Generalsekretär für die Sozialversicherung, Dimitris Stratoulis, am Freitag, werden Maßnahmen verabschiedet, die die „humanitäre Krise“ bekämpfen sollen, das heißt: Aussetzen von Versteigerungen von Erstwohnsitzen, Aussetzen des sogenannten Nulldefizits für Zusatzpensionen sowie die Neuberechnung von Hauptpensionen, dazu Hilfsprogramme für notleidende Familien.

Stellt das keinen Bruch des laufenden Programms dar? (Das Gesetz über die Pensionen wurde bereits 2010 beschlossen.) Nach der Definition der Regierung nicht, denn die Maßnahmen seien kostenneutral. Die neuen Regelungen für die Schuldner und die humanitären Maßnahmen im weiteren Sinn, also inklusive Pensionsregelung, würden einander neutralisieren. Eingereicht werden die Gesetze aus Rücksicht auf die Gläubiger, erst nächste Woche, wenn, so hofft man, eine Einigung in Brüssel erreicht sein wird.

Bruchlinien bei Präsidentenwahl

An der europäischen Verhandlungsfront zeigen sich also, nicht zuletzt dank der gemeinsamen Sprachregelungen, zurzeit keine Risse in Partei und Regierung. Der rechtspopulistische Koalitionspartner von den Unabhängigen Griechen (ANEL), insbesondere deren Chef, Panos Kammenos, sorgen zwar mit martialischen Sprüchen gegen Deutschland für Unruhe, trägt aber die Verhandlungen bislang mit.

Zu Differenzen trug hingegen die Wahl des griechischen Staatspräsidenten im griechischen Parlament am vergangenen Mittwoch bei, und zwar sowohl innerhalb der Syriza als auch bei den Konservativen (ND). Als Alexis Tsipras in seiner Parlamentsfraktion überraschend den Namen des konservativen Prokopis Pavlopoulos nannte, konnte sich nicht einmal die Hälfte seiner Fraktion zu einem Applaus aufraffen, nicht wenige zeigten offen ihren Unwillen, einem politischen Gegner die Stimme zu geben. Zu gern hätte man den Machtwechsel mit einem linken Politiker an der Spitze der Nation besiegelt. Schließlich jedoch stimmten mit einer Ausnahme alle Abgeordneten für den ehemals wichtigen Innenminister der konservativen Regierung von Kostas Karamanlis in den Jahren 2004 bis 2009. Insgesamt war er für die linken Abgeordneten tragbarer als der davor gehandelte EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos, der zu stark mit der Austeritätspolitik der vergangenen Jahre in Zusammenhang gebracht wird. Pavlopoulos hingegen war in der ND-Regierung der Jahre 2012 bis 2015 unter Antonis Samaras nicht mehr zum Zug gekommen. Dieser musste ihn nun wohl oder übel wählen – ein Zugeständnis, das seine harte Linie gegenüber der Regierung Tsipras torpedierte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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