Griechenland/EU: Liste der enttäuschten Hoffnungen

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Der Brief Athens an seine europäischen Gläubiger ist bewusst vage gehalten – aber klar genug, um zu zeigen, welche Wahlversprechen Premier Alexis Tsipras brechen muss.

Brüssel. Es ist nicht das Ende einer Reise, sondern ihr Beginn – damit gemeint ist jener siebenseitige Brief, den die griechische Regierung in der Nacht zum Dienstag nach Brüssel übermittelt hat. Darin enthalten ist eine Liste jener Reformvorhaben, die die Links-rechts-Koalition von Premierminister Alexis Tsipras in die Tat umsetzen will, damit die europäischen Gläubiger Griechenlands ihr Kreditprogramm für das überschuldete Land bis Ende Juni fortsetzen und anschließend über ein weiteres Hilfsprogramm verhandeln. Von einem „adäquaten Ausgangspunkt“ sprachen Dienstagmittag die EU-Kommissare Valdis Dombrovskis und Pierre Moscovici, während Jeroen Dijsselbloem, Finanzminister der Niederlande und Chef der Euro-Gruppe, bei seinem gestrigen Auftritt im Europaparlament von einem erkennbaren „gemeinsamen Willen“ sprach, die Krise einvernehmlich zu lösen.

Diese Ansicht teilen auch Dijsselbloems Ressortkollegen, die am Nachmittag telefonisch die Lage erörterten. Die Eurogruppe einigte sich darauf, die Verhandlungen mit Athen zu eröffnen. Gemäß der Übereinkunft vom vergangenen Freitag werden Athen und seine europäischen Partner bis Ende April einen konkreten Reformfahrplan ausarbeiten, erst dann soll gemäß den Worten des deutschen Finanzministers, Wolfgang Schäuble, weiteres Geld nach Athen fließen – es geht um insgesamt knapp 15 Mrd. Euro aus dem laufenden, 172 Mrd. Euro schweren Hilfsprogramm.

Die griechische Liste ist vage gehalten – was nicht überraschend ist, denn sie dient als Ausgangspunkt der weiteren Verhandlungen. Nichtsdestoweniger ist sie deutlich genug, um zu zeigen, welche Wahlversprechen Premier Tsipras brechen muss, um ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu verhindern. Anhaltspunkte dafür liefert das Thessaloniki-Programm, das seine Partei, Syriza, im September 2014 beschlossen hatte. Darin werden jene Vorhaben aufgelistet, die die Linkspopulisten im Falle eines Wahlerfolgs umzusetzen gedenken.

Dass von der wichtigsten Ankündigung – einer Entschuldung Griechenlands nach dem Vorbild der Londoner Schuldenkonferenz von 1953, bei der Deutschland entlastet wurde – nicht die Rede sein konnte, stand von vornherein fest. Verabschieden müssen sich die Syriza-Wähler aber auch von anderen Versprechen: etwa der Anhebung des Mindestlohns auf 751 Euro. In dem Brief aus Athen ist lediglich von der „Absicht“ die Rede, die Mindestlöhne zu vereinheitlichen und zu einem späteren Zeitpunkt anzuheben, sollten „Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsmarktlage“ dies gewährleisten. Ebenfalls verschwunden sind die bis dato fest versprochene Wiedereinführung des Weihnachtsgeldes für Bezieher niedriger Pensionen, die nach Syriza-Schätzungen 534 Mio. Euro gekostet hätte, sowie die Streichung der Immobiliensteuer ENFIA, deren Kosten für das Budget mit zwei Mrd. Euro beziffert wurden. Auch von der versprochenen Rückabwicklung der Privatisierungen will Tsipras nun nichts mehr wissen – stattdessen wolle man bei künftigen Privatisierungen prüfen, ob sie die größtmöglichen Vorteile bringen.

Humanitäre Maßnahmen

Aus dem griechischen Brief lässt sich auch herauslesen, wie Tspiras der für seine Partei wenig erfreulichen Angelegenheit doch noch einen positiven Spin zu verpassen gedenkt. Im vierten und letzten Punkt ist nämlich von „nicht pekuniären Maßnahmen“ zur Linderung der humanitären Krise in Griechenland die Rede. Ebendiese Maßnahmen bilden die erste Säule des Thessaloniki-Programms – es geht dabei um Gratisstrom für die ärmsten Haushalte (geschätzte Kosten: 59 Mio. Euro), Mietzuschüsse (54 Mio. Euro), Lebensmittelmarken (756 Mio. Euro) und subventionierte medizinische Grundversorgung (350 Mio. Euro). Summa summarum geht es also um 1,2 Mrd. Euro, die Tsipras aufstellen muss – die im laufenden Hilfsprogramm eingebaute Flexibilität müsste es ihm ermöglichen, Gelder entsprechend umzuschichten. Und die EU-Partner dürften keine Einwände haben – nicht zuletzt, weil sie Tsipras einen gesichtswahrenden Kompromiss zugestehen wollen.

Auf einen Blick

Sieben Seiten umfasst die Liste der griechischen Reformvorhaben. Demnach will Athen in der Steuergesetzgebung Schlupflöcher stopfen und ausständige Steuerschulden konsequenter eintreiben. Zusätzliche Einnahmen erhofft man sich aus dem Kampf gegen Steuerbetrug. Ebenfalls beabsichtigt: Bekämpfung von Korruption und Zigarettenschmuggel, Abbau der Bürokratie (samt Auflösung von sechs Ministerien), Reform des Katasterwesens, weniger Anreize für frühzeitige Pensionierungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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