Griechenland: Varoufakis, Minister unberechenbar

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Griechenlands Finanzminister Varoufakis provoziert ein Ärgernis nach dem anderen. Tsipras steht zu ihm, in der Syriza ist er jedoch ein Fremdkörper.

Athen/Berlin. Er ist seit gerade einmal sieben Wochen Finanzminister Griechenlands – und hat bereits heute mehr Skandale produziert als viele Politikerkollegen während ihrer gesamten, langjährigen Amtszeit. Yanis Varoufakis liebt die Medien, so scheint es: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mindestens ein Interview des Ökonomen in Radio, Fernsehen oder Zeitungen erscheint – markige Sprüche inklusive. Sonntagabend war der 54-Jährige zu Gast bei Günther Jauch in der deutschen ARD, wo ihm ein pikantes Video präsentiert wurde, das vom Mai 2013 datiert: Bei einer Konferenz in Kroatien hat Varoufakis seine These erläutert, dass sich Griechenland im Jänner 2010 insolvent hätte erklären müssen. Dann hätte man, so der heutige Finanzminister, „Deutschland den Stinkefinger zeigen“ können –, und das tat er auch, in Wort und Bild eben. Varoufakis beteuert, das Video sei eine Fälschung. Dafür gab es keine Hinweise, im Gegenteil: Jetzt steht seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Entschuldigung für Homestory

Die Mediengeilheit des Ministers ist alles andere als Zufall – trotz seiner häufigen Ausrutscher. Als er sich kürzlich beim griechischen Publikum für die Glamour-Fotos für die französische Illustrierte „Paris Match“ entschuldigte, die ihn mit Gemahlin auf der Terrasse seiner Wohnung mit Blick auf die Akropolis gezeigt hatten, merkte er an, dass Veröffentlichungen dieser Art Griechenlands Anliegen eine internationale Bühne verschaffen. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Schaden, der durch Stinkefinger-Debatten und Konfrontationen wie jene mit Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, nicht mehr Schaden anrichten, als die Publizität nutzt. Auch die Finanzminister der EU sind schlecht auf den Griechen zu sprechen.

Griechenlands Regierung aber steht vorerst hinter ihrem Finanzminister. Man sei hochzufrieden mit dem Ergebnis seiner Verhandlungen in der Eurogruppe, verlautet aus der Umgebung von Ministerpräsident Alexis Tsipras vom Radikalen Linksbündnis Syriza, man habe vollstes Vertrauen. Erst Sonntagnachmittag, also wenige Stunden vor der ARD-Sendung, spazierten Tsipras und Varoufakis demonstrativ freundschaftlich durch das Regierungsviertel – eine Botschaft an alle Kritiker im In- und Ausland. Es ist allerdings nicht Varoufakis allein, der in der Regierung Wirtschaftspolitik macht. Er ist das internationale Aushängeschild des Landes, das wirtschaftliche Programm und die Koordination der involvierten Ministerien sind aber in der Verantwortung des stellvertretenden Ministerpräsidenten, Giannis Dragasakis, ebenfalls Wirtschaftsprofessor.

Er ist es auch, der die Kontakte zur Brüsseler Gruppe, der Ex-Troika, koordiniert. Diese Zweiteilung war für Athen bislang sehr praktisch: Varoufakis sorgt für die notwendige Aufmerksamkeit eines Landes, das nicht viele andere Trümpfe im Ärmel hat; Dragasakis kann im Hintergrund mit Banken, Gläubigern und Investoren ungestört seiner Arbeit nachgehen.

In der Syriza selbst stößt Varoufakis auf wenig Gegenliebe. Für die Partei ist er ein Fremdkörper, noch im Mai 2014 wollte man ihn nicht als Kandidaten für das EU-Parlament haben. Seine ersten Auftritte in Brüssel, bei denen er unter anderem auf die Forderung nach einem sofortigen Schuldenschnitt verzichtete, sorgten im Zentralkomitee für böses Blut.

Doch bei den Parlamentswahlen im Jänner 2015 konnte er einen großen Sieg verbuchen: Nach griechischem Wahlrecht erhalten die Kandidaten ihre Parlamentssitze abhängig von ihren Vorzugsstimmen. Varoufakis bekam mit Abstand die meisten Vorzugsstimmen aller griechischen Politiker – und kann sich nun mit gutem Gewissen auf das Vertrauen der Wählerbasis berufen.

AUF EINEN BLICK

Ein Stinkefinger-Video mit dem griechischen Finanzminister, Yanis Varoufakis, sorgt in Deutschland für Aufregung. Moderator Günther Jauch hatte das Video von einem Auftritt des damaligen Wirtschaftsprofessors 2013 bei einer Konferenz in Zagreb in seinem ARD-Talk eingespielt. Darin ist zu sehen, wie Varoufakis über die Eurokrise referiert und den Mittelfinger ausstreckt. Der Grieche reagierte empört auf den Vorhalt, er habe dem Geldgeber Deutschland den Stinkefinger gezeigt: Das Video sei eine Fälschung, sagte er.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)

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