Brexit: Eine Rechnung, viele Unbekannte, große Risken

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Eine Studie warnt vor überzogenen Hoffnungen auf wirtschaftliche Dividende eines britischen EU-Austritts.

Brüssel/London. Der Countdown läuft: Im Mai wählen die Briten ein neues Unterhaus. Sollten die Tories von Premier David Cameron den Sieg davontragen, werden die Wähler in spätestens zweieinhalb Jahren über den Verbleib ihres Landes in der EU entscheiden. Der richtige Zeitpunkt also, um die Vor- und Nachteile der britischen EU-Mitgliedschaft zu erörtern. Experten des (mild europakritischen) Thinktanks Open Europe haben am gestrigen Montag das Ergebnis ihrer Überlegungen publiziert. Fazit: Im besten Fall würde der Brexit die britische Wirtschaftsleistung bis 2030 um 1,6 Prozent steigern, im schlimmsten Fall aber um 2,2 Prozent drücken.

Die optimale Variante definiert Open Europe folgendermaßen: ein Freihandelsabkommen mit der EU, das britischen Unternehmen vollen Zugang zum Binnenmarkt der Union ermöglicht, sowie die maximale Öffnung der britischen Wirtschaft gegenüber dem Rest der Welt. Das Worst-Case-Szenario ist das genaue Gegenteil davon: kein Freihandel mehr mit der EU und Protektionismus gegenüber dem Rest der Welt. Nachdem die Studienautoren nicht davon ausgehen, dass die Extremszenarien eintreffen, gehen sie für den Fall des EU-Austritts Großbritanniens von einem Ergebnis aus, dass zwischen plus 0,6 und minus 0,8 Prozent des BIPs liegen dürfte.

Sollte Großbritannien die EU in der Tat verlassen, werden sich die negativen Folgen des Austritts nicht ausschließlich durch ein Freihandelsabkommen mit der EU (etwa nach dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz) kompensieren lassen. Damit die britische Wirtschaft profitiert, müsste der Austritt durch liberale Wirtschaftspolitik flankiert werden – also Deregulierung und Öffnung der Grenzen gegenüber arbeitswilligen Migranten. Der Haken: Jene Bevölkerungsschichten, die einen EU-Austritt befürworten (etwa Arbeiter und Männer mit Pflichtschulabschluss), erhoffen sich vom Brexit nicht mehr, sondern weniger Wettbewerb. „Die Entscheidung, britische Arbeiter verstärktem Wettbewerb aus Niedriglohnländern auszusetzen, ist politisch heikel“, heißt es im Bericht. Gleiches gelte für die dann benötigte liberale Einwanderungspolitik, die von der UK Independence Party (Ukip) bekämpft wird.

Einflussnahme fraglich

Ein weiteres Problem: Die eventuellen Vorteile eines EU-Austritts könnte Großbritannien nur dann voll ausschöpfen, wenn es nach wie vor die Vorschriften innerhalb der Union mitgestalten (und zu seinen Gunsten beeinflussen) könnte – was unrealistisch erscheint. Denn für den Rest der EU gäbe es keinerlei Grund dafür, nach einem Brexit noch auf britische Sonderwünsche einzugehen. Noch eine Warnung hat Open Europe für alle EU-Gegner des Landes: Gelingt es der EU, ihre aktuellen ökonomischen Probleme zu bewältigen, könnten die Folgekosten des Austritts noch höher ausfallen. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2015)

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