TTIP: Warum die EU-Kommission Lobbyisten braucht

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Die europäischen Verhandlungsführer sind auf Input der Wirtschaftsvertreter angewiesen, die konkrete Erfahrung mit Hürden im Handel mit den USA haben. Die NGOs argumentieren allgemeiner – und defensiver.

Brüssel. Ist die EU-Kommission Knetmasse in den Händen der Lobbyisten, wenn es um die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP geht? Dieser Vorwurf wird immer wieder von Gegnern des Abkommens erhoben, wenn es um mangelhafte Transparenz und angebliche Bevorzugung wirtschaftlicher Interessen auf Kosten der Zivilgesellschaft geht. Und in der Tat hat diese Kritik auch einen wahren Kern – der allerdings in der Natur der Sache liegt, denn die Verhandler der Brüsseler Behörde sind auf den Input der Unternehmensvertreter in einem höheren Maß angewiesen als auf Nichtregierungsorganisationen.

Der Grund: Exporteure (und ihre Vertreter in Brüssel) haben Erfahrungen mit Hürden im Handel mit den USA und konkrete Vorstellungen davon, welche Klauseln das Freihandelsabkommen beinhalten muss, um ihnen vollen Marktzugang zu gewährleisten – indem sie die Kommissionsbeamten darüber informieren, verfolgen sie also eine offensive und konkrete Agenda. Die NGOs haben einen ungleich schwereren Stand, denn ihre Agenda ist tendenziell defensiv und global. Überspitzt formuliert: Wirtschaftsvertreter wissen genau, was sie wollen; NGOs wissen oft nicht so genau, was sie nicht wollen.

Emotionen als Mittel zum Zweck

Dieser strukturelle Nachteil wird dadurch wettgemacht, dass es den Gegnern des Abkommens leichterfällt, ihre Agenda emotional aufzuladen. Pia Eberhardt vom Corporate Europe Observatory, die in Deutschland die Anti-TTIP-Kampagne mitinitiiert hat, hält folglich wenig davon, ihre Anliegen gegenüber der EU-Kommission zu kommunizieren. Die Aktivistin hält die von der Brüsseler Behörde gebotenen Möglichkeiten zur Mitsprache für ein „Feigenblatt, das keinen Einfluss auf die Verhandlungsführung“ bietet. Möglichkeiten zur Einflussnahme sieht sie hingegen im Europaparlament sowie auf nationaler Ebene – eine Strategie, die vor allem in Deutschland und Österreich aufgegangen ist, wie die weitverbreitete Ablehnung gegenüber der außergerichtlichen Streitschlichtung für Investoren belegt.

Hinter vorgehaltener Hand geben Experten den TTIP-Gegnern in einem Punkt recht: US-Konzerne könnten in der Tat unliebsame Gesetzesänderungen anfechten, sofern sie belegen können, dass ein neues Gesetz vor allem sie negativ betrifft – und das wäre dann der Fall, wenn ein US-Unternehmer zugleich unangefochtener Marktführer ist, wie etwa Google im Bereich der Suchmaschinen. Wie dieses Problem gelöst werden kann, ist noch nicht klar – der öffentliche Widerstand gegen Investorenschutz scheint aber positiv gewirkt zu haben. Selbst Industrievertreter wie Christoph Neumayer sprechen mittlerweile von einem Bedarf an Transparenz und demokratischer Kontrolle bei den Investorenschutzklauseln.

Nach anfänglicher Geheimniskrämerei, die in Kommissionskreisen mittlerweile offen zugegeben wird, setzt die neue Handelskommissarin Cecilia Malmström auf „Glasnost“. Jede TTIP-Verhandlungsrunde (die nächste findet Ende April statt) wird von einem sogenannten Stakeholder Meeting flankiert, bei dem Interessenvertreter zu Wort kommen. Außerdem wird die Kommission von einem 16-köpfigen, von Wirtschaftsvertretern und NGOs paritätisch besetzten Gremium beraten, dem unter anderem Vertreter der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK und des Konsumentenschutzverbands BEUC angehören.

An ihre Grenzen stößt die Transparenz freilich bei der Offenlegung der Verhandlungsunterlagen – einerseits wegen Zusagen an die USA und andererseits, weil die EU-Kommission diesbezüglich ein gebranntes Kind ist. Bei Verhandlungen mit Kanada waren Informationen nach außen gesickert. „Das war unangenehm. Wir haben Dokumente an die EU-Hauptstädte weitergeleitet, und zwei Tage später stand alles in den Zeitungen“, erinnert sich ein Brüsseler Beamter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2015)

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