Giorgos Papandreou: "Syriza könnte jahrelang dominieren"

Ex-Premier Giorgos Papandreou
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Griechenlands Ex-Premier Giorgos Papandreou zieht Bilanz: Der Tsipras-Regierung traut er eine lange Amtszeit zu.

»Hätte Athen 2011 Bankrott erklären sollen?«

Wie schätzen Sie die Verhandlungen der Regierung Tsipras mit den europäischen Partnern ein. Steht Griechenland vor dem Zahlungsausfall?

Giorgos Papandreou: Wir müssen alle dazu beitragen, dass die Verhandlungen der neuen Regierung zum Erfolg führen, auch wenn die linke Regierungspartei Syriza Fehler gemacht hat – sowohl heute als auch in der Vergangenheit, als sie gegen alles war, was meine Regierung vorschlug. Tatsache ist auch, dass Syriza in den vergangenen Wochen wertvolle Zeit verloren hat, vor allem aus kommunikativen Gründen. Wir brauchen einen nationalen Reformplan, eine Einigung auf grundlegende, große Reformvorhaben.

Sind auch die europäischen Partner zu einer Einigung bereit?

Ich sehe die Bereitschaft zu einem Konsens, aber unsere Partner erwarten konkrete Vorschläge.

Hatten die EU-Staaten zu Beginn der Krise den gleichen Willen zum Konsens?

Damals 2009 standen wir vor einer Situation, die allen völlig neu war. Es gab keinen Mechanismus, so wie heute. Tatsächlich war Griechenland das schwächste Glied in der Kette, doch es handelte sich im Grunde um ein strukturelles Problem der Eurozone. Die EU konzentrierte sich auf Detailprobleme. Die Märkte dagegen sahen nicht nur das griechische Problem, sie sahen auch die Schwächen der Eurozone als Ganzes. Das machte unsere Anpassung um vieles schwerer. Erst zweieinhalb Jahre nach Beginn der Krise sagte EZB-Präsident Mario Draghi, dass er alles tun würde, um den Euro zu retten. Erst danach beruhigten sich die Märkte. Hätte man das schon 2010 gesagt, hätte Griechenland möglicherweise gar nicht unter einem Schutzschirm Zuflucht suchen müssen.

Wie sehen Sie die Anpassungsprogramme?

Ein Problem war, dass man die innere Abwertung, also die Preisanpassung, als Lösungsansatz sah. Sie sagten uns etwa, senkt die Preise, die Löhne, die Produktionskosten, damit ihr wettbewerbsfähig werdet. Aber das war nur zum Teil richtig. Die Produkte werden trotzdem nicht gekauft, obwohl sie billig sind. Das Design ist nicht gut, die Qualität, das Marketing. Daher muss man investieren, die Firmen umstrukturieren. Das hätten wir gebraucht. Dafür hätte man aber mehr Zeit benötigt, mehr Geld, vielleicht die Eurobonds. Man setzte auch zu sehr auf Austeritätsmaßnahmen, im Gegensatz zu den USA oder Kanada etwa.

Ist diese Politik auch als Strafe zu sehen?

Obwohl wir eine neue Regierung waren und keine unmittelbare Verantwortung für das Defizit des Jahres 2009 trugen, war ich mit Zorn konfrontiert, und mit einer Psychologie, die nach Strafe verlangte. Es ist kaum möglich, gleichzeitig große Reformen durchzuführen, das Defizit zu tilgen und die sozialen Folgen zu verdauen. Auch die Kreditbedingungen mussten nach einem Jahr geändert werden. Am Anfang zahlten wir „Strafzinsen“. Die Marktzinsen lagen deutlich unter den Zinsen, die wir zu zahlen hatten. Es herrschte das Gefühl vor, dass Griechenland für seine Fehler zahlen muss.

Griechenland war aber offensichtlich nicht unschuldig daran.

Es gab Pensionen, die zu hoch waren, es gab Privilegien. Die wurden beschnitten, das lösten wir. Aber das ist nicht das Hauptproblem, das Hauptproblem ist die schlechte Funktion des Staatsapparates. Heute wird das verstanden, das ist heute das zentrale Thema. Nur ein Beispiel: Die lokale Selbstverwaltung ist in Griechenland sehr schwach. Das ist ein Erbe von früheren autoritären Regimen und auch des politischen Klientelwesens. Wenn man seine Arbeit erledigen will, muss man zum nächsten lokalen Parteibüro gehen.

Hätte Griechenland 2010 seine Zahlungsunfähigkeit erklären müssen?

Wir diskutierten alle Möglichkeiten. Einerseits hätte ein Zahlungsausfall höchstwahrscheinlich das Ausscheiden aus der Eurozone bedeutet. Aber wir hatten auch ein Defizit von 30 Milliarden Euro. Zahlungsausfall bedeutet, dass dir niemand Geld gibt. Wie hätten wir Pensionen und Löhne zahlen sollen? Wir hätten das Defizit von einem Tag auf den anderen auf null senken müssen. Die Folgen wären tragisch gewesen. Wir wählten eine sanftere Anpassung – obwohl auch diese Anpassung schmerzhaft und hart war.

Eine Möglichkeit wäre der Haircut der Banken gewesen?

Das war für uns eine Lösung. Aber das wollten die Gläubiger nicht. Das lehnten alle Länder und die Europäische Zentralbank (EZB) ab. Noch im Jahr 2011 schickte mir EZB-Präsident Jean-Claude Trichet einen Brief, in dem er schrieb, dass er die Finanzierung der griechischen Banken einstellen würde, falls wir weiter über einen Haircut diskutierten. Man lehnte das strikt ab. Ende 2011 gab es freilich den Schuldenschnitt, aber der Ansatz war dann der, dass die privaten Schulden von Banken und Fonds auf die Länder und die Steuerzahler übergehen.

Sie kündigten Ende Oktober 2011 eine Volksabstimmung über das zweite Sparprogramm an. Die europäischen Partner waren überrascht und verärgert. Letztlich mussten Sie zurücktreten.

Es gab die verschiedensten Reaktionen. Auf jeden Fall stimmt nicht, dass sie nicht informiert waren. Sowohl die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, als auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und andere. Nicht erst einen Tag vorher, sondern bereits im September 2011. Es gab negative Reaktionen aus dem Inland, aber auch von einigen Gläubigern, zum Beispiel vom französischen Ministerpräsidenten, Nicolas Sarkozy, aus verschiedensten Gründen, unter anderem fürchtete er die Reaktion der Märkte. Angela Merkel unterstützte uns, in der Öffentlichkeit nahm sie zwar nicht positiv zur Volksabstimmung Stellung, aber bei den Gesprächen in Cannes stützte sie uns. Alle stimmten schließlich überein, dass eine Volksabstimmung stattfinden würde, aber ich hatte ein Problem innerhalb meiner Partei und konnte unter dem Druck der Ereignisse keine Allianz mit dem Chef der konservativen Opposition, Antonis Samaras, schließen.

Fürchteten die Partner, dass das Abstimmungsergebnis negativ sein würde?

Letztlich muss man die Stimme des Volkes akzeptieren. Aber ich glaubte, dass das Ergebnis positiv sein würde. Das griechische Volk war sehr gut über die Folgen eines Austritts aus der Eurozone informiert. Im Jahr 2012 stimmte es für Parteien, die den Euro behalten wollten, und auch jetzt, bei den Parlamentswahlen im Jänner 2015, war das Leitbild der siegreichen Syriza der Verbleib in der Eurozone. Auch Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit den Euro will.

War Angela Merkels Politik konsequent, oder favorisierte sie die griechischen Konservativen?

Das, was Frau Merkel – und allgemein Deutschland – sehen will, ist der Erfolg Griechenlands, ich hatte nie den Eindruck, dass Deutschland Griechenlands Misserfolg wollte. Eine andere Frage ist freilich, ob wir immer mit der Art, mit der gewählten Politik, übereinstimmen. Wir sollten nicht Frau Merkel kritisieren, sondern unsere großen Reformvorhaben glaubwürdig vermitteln. Aber dazu braucht es eine Basisverständigung, die die politischen Auseinandersetzungen der Parteien nicht zulassen.

Bestand Ende 2011 die Gefahr eines Putsches in Griechenland? Verteidigungsminister Beglitis wechselte den gesamten Generalstab der Armee aus.

Die Gefahr eines Putsches bestand meinem Gefühl nach nicht. Der Austausch des Generalstabs war ein Routineverfahren und hatte nichts mit der Angst vor einem Putsch zu tun. Es gab aber viele paramilitärische Organisationen, von pensionierten Soldaten und so weiter, einige von diesen hatten Kontakt mit rechtsradikalen Organisationen wie der Goldenen Morgenröte. Damals prügelten alle, von der radikalen Linken bis zur radikalen Rechten, auf die Regierung ein und waren der Ansicht, dass auch Gewalt im Kampf gegen das Sparprogramm gerechtfertigt war. Auch deshalb glaubte ich, dass es richtig war, über eine Volksabstimmung die griechischen Bürger direkt anzusprechen, um nicht das Feld denen zu überlassen, die ihre Ängste ausnutzen.

Nach einem kurzen Wahlkampf verfehlte Ihre Partei, Bewegung der demokratischen Sozialisten, im Jänner 2015 den Einzug ins Parlament. Werden Sie weitermachen?

Die sozialistische Pasok übernahm konservative, rückwärtsgewandte Praktiken. Es brauchte Stimmen, die nach Neuerung verlangten. Ich tue das nicht aus persönlichen Gründen, sondern ich will eine kritische Masse neuer Führungskräfte für das Land schaffen. Sicher wollen wir diese Basis an Ideen und Menschen in einen breiteren Rahmen einbringen. Momentan jedoch ist die linke Mitte stark zersplittert. Ob sich ein neuer, breiterer Dialog entwickelt, hängt aber auch sehr stark von der heutigen Syriza-Regierung ab. Wenn sie die Klippe der Einigung mit den Gläubigern umschifft und eine fortschrittliche Politik betreibt, könnte sie jahrelang dominieren.

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