Das pragmatische Verhältnis der orthodoxen „Brüder“

Alexis Tsipras
Alexis Tsipras(c) REUTERS (YIANNIS KOURTOGLOU)
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Schon in der Vergangenheit schielte Athen immer wieder in Richtung der Freunde in Moskau und Belgrad.

Es ist keine Erfindung von Alexis Tsipras. Sollte sich der griechische Premier – angesichts seiner leeren Kassen – jetzt tatsächlich auf den alten orthodoxen „Bruderstaat“ Russland besinnen, um sich dort Hilfe zu holen, so folgt er nur einer Tradition griechischer Politik. Regierungen in Athen standen immer wieder vor der Frage, was stärker wiegt: die Anbindung an die sogenannten westlichen Strukturen, oder die alten orthodoxen Bande?

Schon vor genau 16 Jahren musste eine griechische Regierung einen schwierigen Balanceakt absolvieren – wenn auch unter anderen politischen Umständen. Zum einen musste sie damals Bündnistreue zeigen mit ihren Alliierten in der Nato. Doch zum anderen wusste sie auch von der Stimmung in den Straßen des Landes. Das Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche, Christodoulos I., sprach damals vielen Griechen aus der Seele, als er in seinen Predigten gegen die Nato-Angriffe auf „das orthodoxe Brudervolk der Serben“ wetterte. Fast wortgleiche Schelten waren aus Moskau zu vernehmen, wo Patriarch Aleksej II. die Attacken des westlichen Bündnisses auf Serbien als „Sünde vor Gott“ bezeichnete.

Ende März 1999 hatte der Krieg im Kosovo einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Nato eilte den Kosovo-Albanern zu Hilfe und startete Luftschläge gegen das Jugoslawien des damaligen serbischen Machthabers Slobodan Milošević. In Athen protestierten Tausende gegen die Nato, und die Regierung setzte sich für ein rasches Ende der Bombardements ein. Zugleich stellte das Nato-Mitglied Griechenland dem Bündnis aber auch den strategisch wichtigen Hafen Thessaloniki zur Verfügung.

In der Kosovo-Frage im selben Boot

Athen hatte schon im Jahr zuvor bei der Ausweitung der Wirtschaftssanktionen gegen Jugoslawien gebremst. Teile der griechischen Elite hatten enge Beziehungen zur Familie Milošević. Dazu kam die strategische Sorge, der Rivale Türkei könnte gleichsam über die mehrheitlich muslimischen Kosovo-Albaner seinen Einfluss auf dem Balkan ausdehnen. Und über all das legten sich die historischen griechisch-serbischen Bande – die von den Aufständen gegen das Osmanische Reich im 19. Jahrhundert bis zur Waffenbruderschaft im Ersten Weltkrieg reichten.

Schon während des Kosovo-Kriegs 1999 zeigte sich die alte orthodoxe Achse vom skeptischen Nato-Mitglied Griechenland über Serbien bis hin zum serbischen Verbündeten Russland. Geht es um Serbien und den Kosovo sitzen Athen und Moskau auch heute noch im selben Boot. Russland denkt nicht daran, die Eigenstaatlichkeit des Kosovo anzuerkennen. Und auch Griechenland gehört zu den fünf EU-Staaten, die einen unabhängigen Kosovo nach wie vor nicht akzeptieren wollen.

Jetzt, da wegen der Ukraine-Krise der Ton zwischen Russland auf der einen und der EU und Nato auf der anderen Seite wieder rauer wird, versucht Moskau erneut die Bruderschiene in Richtung Südosteuropa zu nutzen. Verstärkt werden die Fühler etwa nach Belgrad ausgestreckt, das weiterhin auf Russlands Hilfe in der Kosovo-Frage zählen kann. Serbien hat zwar bereits den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Einige Thinktanks warnen aber davor, dass sich Belgrad wieder stärker an Moskau anlehnen könnte, falls die EU bei den Beitrittsgesprächen zu große Steine in den Weg legt.

(C) DiePresse

Keine Alternative

„Wir sind auf dem Weg Richtung EU, das ist das strategische Ziel Serbiens. Punkt“, beteuerte Ende Jänner der serbische Premier, Alexandar Vučić im Interview mit der „Presse“. Und fügte hinzu: „Natürlich wollen wir aber auch gleichzeitig die traditionell guten Beziehungen zu Russland bewahren.“

Bei allen historischen Banden war das Verhältnis zwischen Belgrad und Moskau in letzter Konsequenz auch immer von politischem Pragmatismus geprägt. Das gilt auch für Griechenland. Die Regierung in Athen kokettiert gegenüber den europäischen Partnern zwar gern damit, sich notfalls dem alten Freund Russland zuzuwenden. So wie Serbiens Regierung ist aber auch ihr klar, dass es zur EU keine Alternative gibt. Auch 1999 blieb Griechenland letzten Endes auf der Seite seiner westlichen Partner: Trotz allen Unmuts über die Luftschläge gegen Serbien scherte es nicht aus der gemeinsamen Nato-Politik gegen Milošević aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2015)

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