Das EU-Wettbewerbsverfahren zielt auf eine Entbündelung der in Europa besonders häufig genutzten Suchfunktion von anderen kommerziellen Angeboten des US-Konzerns ab.
Brüssel. Es ist die wohl bedeutendste Wettbewerbsklage dieses Jahrzehnts: Am gestrigen Mittwoch leitete die EU-Kommission im Namen der europäischen Verbraucher ein Verfahren gegen Google wegen Missbrauchs marktbeherrschender Stellung im Onlinehandel ein. Kann der US-Konzern, der nun zehn Wochen Zeit für eine Stellungnahme hat, die Vorwürfe nicht entkräften, droht ihm eine Strafe von maximal zehn Prozent des Vorjahresumsatzes – das wären rund sechs Milliarden Euro.
Zwar unterscheidet die digitale Ökonomie des frühen 21.Jahrhunderts sich diametral von der ersten Blütezeit des transatlantischen Kapitalismus vor gut hundert Jahren, als riesige Trusts die US-Wirtschaft dominiert haben; doch was die Marktpenetration in Europa anbelangt, gibt es durchaus Parallelen zwischen Google und den Monopolisten von anno dazumal. Was die Suchmaschinenfunktion anbelangt, kommt Google in der EU auf einen Marktanteil in der Größenordnung von 90 Prozent – anders als in den USA selbst, wo auch andere Suchmaschinen gefragt sind.
Aus der Brüsseler Perspektive geht mit dieser Marktmacht auch eine besondere Verpflichtung einher – und Google ist nach Ansicht der für Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissarin Margrethe Vestager dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Ihr Vorwurf: Google habe bei Suchanfragen seinen hauseigenen Preisvergleichsdienst Google Shopping gegenüber der Konkurrenz bevorzugt – systematisch und seit 2008. Soll heißen: Dienstleister, die nicht zum Google-Universum gehören, landen absichtlich auf schlechten Plätzen, während die hauseigenen Angebote prominent platziert werden. „Es geht darum, dass Verbraucher die bestmögliche Antwort auf ihre Fragen erhalten, und nicht eine Antwort, die Google bevorzugt“, sagte Vestager gestern.
Für die Kommissarin kann das Problem nur auf eine Weise gelöst werden: Die Suchmaschine von Google muss die kommerziellen Angebote von Google genauso wie die kommerziellen Angebote anderer Unternehmen behandeln. De facto würde das allerdings auf eine Entbündelung des Konzerns hinauslaufen: Die Google-Suche würde damit – ähnlich wie die kommunale Wasserversorgung – zu einer unparteiischen Dienstleistung im Dienst der Allgemeinheit. Oder wie es Vestager formuliert: „Es geht nicht um das Erscheinungsbild der Google-Website oder den Suchalgorithmus.“
Aus der Perspektive des Unternehmens klingt das trotzdem wie eine gefährliche Drohung, denn Google macht den Löwenanteil seines Umsatzes mit Werbung, die auf den eigenen Websites platziert wird – und die daher entsprechend gut frequentiert sein müssen. In einer ersten Reaktion versuchte der US-Konzern gestern, seine marktbeherrschende Stellung zu relativieren: Smartphone-Apps, soziale Medien wie Facebook und spezialisierte Anbieter wie das Empfehlungsportal Yelp seien trotz Google im Aufwind, teilte das Unternehmen auf seinem europäischen Blog mit.
Möglicher Präzedenzfall
Faktum ist allerdings, dass Yelp (neben anderen US-Unternehmen wie Expedia oder Microsoft) seit geraumer Zeit in Brüssel gegen Google lobbyiert und einer der Beschwerdeführer ist. Die gestrige Maßnahme sei ein „erster positiver Schritt“, dem Maßnahmen in anderen Geschäftsbereichen folgen müssen, sagte Yelps EU-Beauftragter Kostas Rossoglou zur „Presse“. Denn das gestern gestartete Verfahren ist eng gefasst und bezieht sich nur auf Online-Shopping und nicht auf Dienstleistungen wie Flugbuchungen oder lokale Suchen, die Brüssel im Vorfeld ebenfalls im Visier hatte. Für Vestager geht es darum, einen Präzedenzfall zu schaffen: „Sollten sich unsere Vorwürfe bestätigen, könnte dies Auswirkungen auf andere Bereiche haben.“ Sollte Google also diesen Rechtsstreit verlieren, müsste es in Europa sein Geschäftsmodell von Grund auf ändern.
Zusätzlich zur Causa Suchmaschine eröffnete Vestager gestern eine weitere Nebenfront: Die EU-Kommission will prüfen, ob Google sein Betriebssystem, Android, für Mobiltelefone nicht missbraucht, um auf Kosten unliebsamer Konkurrenten seine eigenen Apps zu bevorzugen – ob es auch hier zu einer Klage kommt, ist allerdings derzeit noch offen.
EU-VERFAHREN
Google macht einen Löwenanteil seines Umsatzes (2014 waren es 66 Mrd. US-Dollar) mit Werbung, die auf hauseigenen Websites platziert wird. Die Kommission wirft dem Unternehmen vor, beim Online-Shopping in der EU seinen eigenen Preisvergleichsdienst gegenüber der Konkurrenz zu bevorzugen. Google hat zehn Wochen Zeit, um auf die Vorwürfe aus Brüssel zu reagieren. Wird der Konzern verurteilt, droht ihm eine Strafe von maximal sechs Mrd. Euro.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)