Großbritannien: Richtungswahl für Europa

A Union Jack flags flies opposite Big Ben and the Houses of Parliament in central London
A Union Jack flags flies opposite Big Ben and the Houses of Parliament in central London(c) REUTERS
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Konservative und Labour liegen in den Umfragen gleichauf. Der Ausgang der Wahl am 7.Mai entscheidet auch, ob die Briten 2017 in einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft abstimmen.

London. Bei der Parlamentswahl in Großbritannien geht es nicht nur um die Briten. Es geht auch um eine Weichenstellung für ganz Europa. Erreichen die regierenden Konservativen am 7.Mai eine absolute Mehrheit, steht Premierminister David Cameron den Wählern im Wort, bis Ende 2017 eine Volksabstimmung über den Verbleib in einer reformierten EU abzuhalten. Dagegen lehnt die oppositionelle Labour Party ein Referendum nach den Worten ihres Parteiführers, Ed Miliband, als „Gefahr für Wachstum und Jobs“ ab und würde nach einem Machtwechsel keine Abstimmung durchführen.

Nach allen Umfragen ist es allerdings so gut wie ausgeschlossen, dass eine der beiden Großparteien die magische Grenze von 326der 650Sitze im britischen Unterhaus erreichen kann. Beide liegen mit 280 bis 290Mandaten so weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, dass derzeit nicht einmal eine Koalition mit den Liberaldemokraten für eine Mehrheitsregierung reichen dürfte.

Als wahrscheinlichste Variante gilt daher eine Minderheitsregierung der Labour-Partei mit Duldung der Scottish National Party (SNP). Die Nationalisten stehen in Schottland vor einem überwältigenden Sieg. Dieser könnte die Labour-Partei paradoxerweise die absolute Mehrheit kosten, ihr aber dennoch die Bildung einer Regierung ermöglichen.

Die Konservativen müssen hingegen fürchten, dass es ihnen nach der Wahl an ausreichend starken Unterstützern fehlt. Ihr bisheriger Partner, die Liberaldemokraten unter Vizepremier Nick Clegg, droht auf eine Größe reduziert zu werden, die eine Neuauflage der Koalition von 2010 unmöglich macht. Die Kernwähler der Liberalen haben der Parteiführung den Bruch von Wahlversprechen nicht verziehen. So hat die Clegg-Partei damals angekündigt, gegen jegliche Erhöhung der Studiengebühren zu stimmen – heute sind diese dreimal so hoch.

Die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (UKIP) unter Nigel Farage wird nach jüngsten Prognosen zwar um die 13 Prozent der Stimmen, aber nur ein bis vier Mandate erhalten. Auch das wäre für eine Stützung einer konservativen Minderheitsregierung zu wenig. Premier Cameron rief die UKIP-Anhänger bereits dazu auf, „nach Hause zurückzukehren“ – soll heißen: die Tories zu wählen.

Stereotyper Phrasenwahlkampf

Den Konservativen ist es bis jetzt nicht gelungen, die Erholung der Wirtschaft und Schritte zur Budgetsanierung in Zustimmung umzumünzen. Nach sieben Jahren Reallohnverlust sind diese Fortschritte bei den meisten Wählern noch nicht angekommen. Zudem führen die Tories einen stereotypen Wahlkampf, der nie ohne die Standardphrasen „langfristiger Wirtschaftsplan“ und „Tory-Kompetenz oder Labour-Chaos“ auskommt. „Es fehlt jede Vision“, sagt ein Parteigrande.

Nicht viel weniger mechanisch konzipiert war zunächst der Labour-Wahlkampf. Mit der Ankündigung, die Steuerfreiheit für Steuerausländer abzuschaffen, sorgte Miliband für einen unerwarteten Hit bei den Wählern, auch Angriffe der Tories trugen dem Labour-Chef eher Sympathie ein. Stand es in der Kanzlerfrage Ende Februar noch 44:24 für Cameron, lagen die Kontrahenten zu Beginn dieser Woche mit 37:34 fast gleichauf. Das britische Mehrheitswahlrecht ist für komplizierte Mehrparteienregierungen nicht geschaffen. Erreicht keine Partei eine absolute Mandatsmehrheit, obliegt es der Queen, einen Parteiführer ihrer Wahl mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Weitere Infos:www.diepresse.com/grossbritannien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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