„Europa ist abwesend in britischen Wahlkämpfen“

Britain's opposition Labour party leader Miliband arrives to address audience during campaign event in London
Britain's opposition Labour party leader Miliband arrives to address audience during campaign event in London(c) REUTERS
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Der britische Politikexperte Tim Bale über die Chancen der Konservativen, die letzten Trümpfe im Wahlkampf – und warum die EU dabei keine Rolle spielt.

Die Presse: Warum ist es den Konservativen nicht gelungen, die Erholung der Wirtschaft in einen substanziellen Vorsprung in den Umfragen umzumünzen?

Tim Bale: Obwohl die Wirtschaft in den vergangenen Jahren wieder anständig gewachsen ist, sind die Reallöhne seit fünf Jahren nicht gestiegen. Erst jetzt sehen wir ein kleines reales Plus – viel zu spät, um sich bei der Wahl bemerkbar zu machen.

Wer hat im Wahlkampf Rückenwind – abgesehen von den schottischen Nationalisten?

Keine der drei großen Parteien – Konservative, Labour und Liberaldemokraten – scheint besonderen Schwung erzeugen zu können. Es ist aber schon deutlich zu erkennen, dass die Beurteilung von (Labour-Spitzenkandidat) Ed Miliband deutlich positiver geworden ist, wenngleich er immer noch hinter Premier David Cameron liegt. Viele Menschen haben ihn in den Fernsehdebatten gesehen und sind zu der Meinung gelangt, dass er nicht annähernd so „seltsam“ oder „unfähig“ ist, wie man ihnen beständig eingeredet hat.

Könnte es bis zum Wahltag am 7. Mai noch eine große Überraschung geben?

Keine Partei scheint mehr Trümpfe im Ärmel zu haben. Die Wahlprogramme sind vorgestellt. Jetzt bekämpfen sie sich gegenseitig – mit allem, was sie haben.

Es fällt auf, dass Europa im Wahlkampf überhaupt keine Rolle spielt. Wird der Vormarsch der europafeindlichen United Kingdom Independence Party (UKIP) von Nigel Farage in sich zusammenfallen?

Es sieht so aus, aber nicht so sehr, wie es sich die Konservativen wünschen. Die meisten Beobachter trauen UKIP immer noch ein zweistelliges Prozentergebnis zu. Das wird die Tories einige Mandate kosten. Europa ist immer abwesend in britischen Wahlkämpfen: Die Tories wollten es 2001 zu einem Thema machen und das endete in einem Debakel. Diesen Fehler wollen sie nicht wiederholen. Labour will ebenfalls nicht von Europa sprechen. Selbst UKIP redet lieber über Einwanderung als Europa.

Sehen die Briten Ed Miliband als künftigen Premierminister?

Eine große Anzahl der Wähler ist skeptisch. Aber sie sollten sich mit der Vorstellung anfreunden. Denn wenn die Tories nicht in die Nähe von 290 Sitzen kommen, ist das wahrscheinlichste Ergebnis eine Labour-Minderheitsregierung, unterstützt von den schottischen Nationalisten.

ZUR PERSON

Tim Bale ist Professor an der Queen Mary University of London. Der Politikwissenschaftler hat gerade sein neues Buch

„Five Year Mission: The Labour Party under Ed Miliband“ vorgestellt. [ Queen Mary, University of London ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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