Vom Außenseiter zum Schreck der Tories

Britain's opposition Labour Party leader Ed Miliband gestures during a speech on health at a campaign event in Leeds, northern England
Britain's opposition Labour Party leader Ed Miliband gestures during a speech on health at a campaign event in Leeds, northern England(c) REUTERS
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Labour-Chef Ed Miliband galt bei der Wahl lang als chancenlos. Nun hat er aufgeholt. Die Konservativen fürchten um den sicher geglaubten Sieg.

London. Lang galt der britische Oppositionsführer, Ed Miliband, als hoffnungsloser Außenseiter im britischen Wahlkampf. Ed als neuer Premierminister? Undenkbar. Nun aber hat der Labour-Spitzenkandidat eine erfolgreiche Aufholjagd hingelegt. „Ich bin geprüft worden, und heute kann ich sagen: Ich bin bereit“, erklärte er kürzlich bei der Vorstellung seines Programms. Inzwischen gilt der 45-Jährige als ein ernst zu nehmender Rivale von Tory-Premier David Cameron.

Damit hatten Camerons Konservative nicht gerechnet – und selbst Labour-Vertreter nicht. Wer Miliband vor wenigen Monaten in der Kampagne zum schottischen Unabhängigkeitsreferendum erlebte, sah einen Politiker, dem der Kontakt mit den Wählern sichtlich körperliches Unbehagen bereitete. Manche Reden gelingen ihm zwar besser als andere (Tiefpunkt war die Parteitagsrede im Vorjahr, als er auf das Budgetdefizit vergaß), aber eine emotionale Verbindung mit seinem Publikum stellte sich nie ein. Der Labour-Abgeordnete Simon Danczuk klagte noch Ende März: „Die Wähler halten Miliband für noch abgehobener als Cameron.“

Weit weg vom Proletarier alter Schule

Der Labour-Chef ist tatsächlich nicht der Proletarier der alten Schule, nach dem sich manche Traditionalisten in der Partei sehnen. Als Sohn jüdischer Einwanderer, die in Großbritannien Zuflucht vor dem Holocaust fanden, wuchs Miliband im Nordlondoner Primrose Hill auf, heute ein Nobelbezirk, der bei Bankern ebenso beliebt ist wie bei der Labour-Elite. Sein Vater, Ralph, war ein marxistischer Theoretiker, der sein Leben lang über den Umsturz des Systems nachgrübelte. „Er wäre enttäuscht über unseren Mangel an Ehrgeiz“, sagte Miliband. „Wir wollen nur den Kapitalismus reformieren.“

Wie sein vier Jahre älterer Bruder David wechselte Ed nach einem Studium an der Eliteuniversität Oxford sofort in die Politik, die zu seinem Lebensinhalt wurde. Während David zu einem der engsten Mitarbeiter von Tony Blair wurde, schlug es Ed auf die Seite von Gordon Brown. Die politische Auseinandersetzung fand ihren Höhepunkt, als die Brüder 2010 gegeneinander um die Labour-Führung kandidierten.

Ed hatte weder die Parlamentsfraktion noch die Parteimitglieder und schon gar nicht die Medien auf seiner Seite. Dennoch gewann er die Wahl um Haaresbreite mithilfe der Gewerkschaften. „Er ist unglaublich hartnäckig und plant seine Schritte ganz genau“, berichtet ein Mitarbeiter aus Milibands Zeit als Umweltminister (2008–2010). Schon damals zeigte er keine Angst vor mächtigen Interessengruppen.

Als Labour-Chef rückte Miliband seine Partei gezielt nach links. Während Alt-Parteichef Neil Kinnock jubelte: „Wir haben unsere Partei zurück“, warnte Blair: „Wahlen werden in der Mitte gewonnen.“ Der Publizist Raphael Behr nennt Miliband den „sozialdemokratischsten Politiker im europäischen Sinn, den Großbritannien hat“.

Der Labour-Chef verlangt von den Energiekonzernen einen Preisstopp, er hat sich gegen die Murdoch-Presse gestellt, will teure Häuser extra besteuern, verspricht eine Anhebung des Mindestlohns und präsentiert seine Partei als Schutzpatron des öffentlichen Gesundheitswesens. Er ist für die EU und für eine „kontrollierte Einwanderung“. Nachdem die Tories den Staat fünf Jahre zurückgedrängt haben, will Miliband die staatlichen Aufgaben wieder ausweiten.

Die „ausgequetschte Mitte“

Während die Industrie Miliband vorwirft, „der wirtschaftsfeindlichste Politiker seit Jahrzehnten“ zu sein, finden seine Ideen bei der Bevölkerung durchaus Anklang. Nach sieben Jahren ohne Reallohnzuwachs sehen sich viele als die von Miliband angesprochene „ausgequetschte Mitte“. Während die Konservativen Labour nicht nur vorwerfen, die Wirtschaft 2008 an die Wand gefahren zu haben, sondern bei einem Wahlsieg unverantwortliche Ausgabensteigerungen zu planen, betont Labour „fiskalisches und budgetäres Verantwortungsbewusstsein“. Für die Tories kommt der Zuspruch unerwartet. Die Konservativen dachten, „für den Wahlsieg reicht es, über die Wirtschaft zu reden und Miliband zu erwähnen“, sagt ein Parteimitarbeiter. Jahrelang lag der Labour-Chef weit hinter den Umfragewerten seiner Partei. Mittlerweile steht es in der Kanzlerfrage nur mehr 37:34 für Cameron.

Angesichts dessen werden die Tory-Angriffe zunehmend untergriffig. Verteidigungsminister Michael Fallon nannte Miliband einen „Verräter“, der seinen Bruder betrogen habe und dem man daher nicht die Verteidigung des Landes anvertrauen dürfe. Die wahre Schmutzarbeit verrichtet aber die rechte Presse, in der Miliband nicht ohne das Sobriquet „Red Ed“ vorkommen darf. Die „Daily Mail“ warf seinem Vater, Ralph, einst mangelnde Liebe zu Großbritannien vor. Kürzlich brachte das Blatt groteske „Enthüllungen“ über das angeblich (einst) „turbulente Liebesleben“ des verheirateten Vaters von zwei Kindern. An einem Foto, auf dem Miliband mit verzerrtem Gesicht ein Bacon-Sandwich attackiert, konnten sich die Medien nicht sattsehen. Die antisemitischen Untertöne, auch wenn es niemand zugeben wird, sind unüberhörbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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