„Massenflucht macht EU-Staaten unregierbar“

Rohingya migrant women, who recently arrived in Indonesia by boat, attend a mid-day mass prayer session inside a shelter in Kuala Langsa
Rohingya migrant women, who recently arrived in Indonesia by boat, attend a mid-day mass prayer session inside a shelter in Kuala Langsa(c) REUTERS
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Bei „Geist & Gegenwart“ auf Schloss Seggau warnte Jakob von Uexküll vor Folgen der Klima-Katastrophe in Afrika für Europa. Alice Schwarzer geißelte den Islamismus. Egon Kapellari widmete sich alter und neuer Religionskritik.

Alice Schwarzer stellte lächelnd fest, dass sie recht behalten habe mit ihrem Buch über die Gotteskrieger, das sie 2002 herausgegeben hat, das vor falscher Toleranz warnt: Bei dem dreitägigen Symposium „Geist & Gegenwart“, das am Freitag auf Schloss Seggau in der Südsteiermark zu Ende ging, las sie in ihrem Referat ausführlich aus jenem Buch über das Vorrücken von Fundamentalismus in Europa und reflektierte darüber wieder neu. Der politische Islam sei ein Missbrauch des Glaubens durch eine Ideologie. Ein Vierteljahrhundert ungehinderter Islamisierung liege hinter uns, sagte sie unverblümt beim sechsten Seggauer Pfingst-Dialog – Motto: „Europa.wertvoll“.

Die deutsche Vorkämpferin der Emanzipation befürchtet weiterhin eine Instrumentalisierung der Kleidung durch Islamisten: „Das Kopftuch ist die Flagge des islamistischen Kreuzzugs.“ Frauen mögen es privat tragen, aber in der Schule sollte es für Lehrerinnen verboten sein, so wie auch das Kreuz. Schwarzer gab vor allem Orientalisten, der deutschen Toleranz wegen der Nazizeit und dem protestantischen Ethos Schuld an dem ihr offenbar unangenehmen Kulturrelativismus. Sie schlug sogar den Bogen zur in ihrer Zeitschrift „Emma“ einst kritisierten Pornografie: „Die Alternative zur Entblößung kann nicht die Verhüllung sein.“ Ihre Bilanz über den Zustand islamischer Staaten heute: von nackter Gewalt im Iran über die Terrorpaten Saudiarabiens bis zu den hunderttausenden Toten in Afghanistan, im Irak und in Syrien nur Negatives. Zugrunde lägen den Problemen vor allem patriarchale Strukturen.

Immer größere Gebiete unbewohnbar

Ihr Vortrag war pointiert, so wie das Referat Jakob von Uexkülls. Der Gründer des World Future Council und des Alternativen Nobelpreises verteidigte zwar das Projekt Europa und tadelte jene, die zynisch herablassend auf den Friedensnobelpreis für die EU reagierten, er malte global aber schwärzer als Schwarzer. Was bedrohe für ihn Europa derzeit am meisten? „Das Klima-Chaos wird immer stärker spürbar.“ Das sei ein Grund für die größte Katastrophe heute: „Sie findet in Afrika statt.“ Bald würden dort hunderte Millionen Menschen auf der Flucht sein, weil immer größere Gebiete unbewohnbar würden, wie der Ökonom Michel Camdessus prognostizierte. Von Uexüll: „Das wird europäische Staaten unregierbar machen.“

Kräftige Worte zum Thema Asyl fand am Freitag der steirische ÖVP-Chef, Landeshauptmann-Stellvertreter Hermann Schützenhöfer: „Ich bin derzeit im Dauer-Wahlkampf, aber eine Sache will mir nicht aus dem Kopf gehen: das Schicksal der Flüchtlinge. Europa tut sich schwer mit der Solidarität. Die ganze Situation ist für mich unfassbar. Dass ein christliches Land nicht in der Lage ist, für eine gewisse Zeit Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, erschüttert mich. Wenn wir als Christen keine Quartiere finden, dann können wir unseren Taufschein in der Sakristei abgeben.“ Schützenhöfer findet es auch unglaublich, wie primitiv die Sprache in der Politik geworden sei: „Da werden Grenzen überschritten, wenn jemand ,Fremd in der Heimat‘ plakatiert.“

Zum Abschluss widmete sich Egon Kapellari, der Ende Jänner 2015 emeritierte Diözesanbischof von Graz-Seckau, der zuvor Gastgeber des Symposiums war, dem Thema Religionskritik. Seine geistreiche Tour d' Horizon reichte von Denkern wie Buber und Habermas bis zu Dichtern wie Walser, Kaschnitz, Handke und auch Rilke, der im „Stunden-Buch“ über Gott schrieb: „Du bist der Wald der Widersprüche.“ Er verkenne nicht generelle Schwächen des Christentums in Europa und auch in Österreich, sagte Kapellari, aber zugleich erkenne er „im Ganzen ungemein viel Vitalität in den Kirchen und zumal auch in meiner katholischen Kirche“.

„Konflikte nicht kleinreden“

Der Bischof sprach sich dagegen aus, Spannungen und Konflikte betreffend den Islam klein- und schönzureden. Das helfe niemandem, sondern diene nur den Populisten, die sich schrecklicher Vereinfachungen bedienten. Versöhnlich wie auch differenziert setzte sich der Bischof mit einer Schlüsselstelle zur Toleranz im aufgeklärten Drama „Nathan der Weise“ auseinander: „Ich denke, dass die Ringparabel Lessings für ernsthafte Christen heute nicht bedeuten kann, den Glauben und den Anspruch auf die Einzigartigkeit und Gottheit Jesu Christi inmitten des Panoramas der Weltgeschichte und Weltreligionen zu relativieren. Sie ist und bleibt aber ein sehr plausibler Vorschlag zu einem Miteinander der Religionen ohne Feuer und Schwert.“ Für den Frieden zwischen ihnen brauche es allerdings „viel Herzkraft“.

SÜDSTEIRISCHES SYMPOSIUM

„Europa.wertvoll“ war das Generalthema des

„Pfingstdialoges Steiermark 2015“ im Schloss Seggau bei Leibnitz. In dem Forum der Diözese Graz-Seckau mit dem Land und dem Club Alpbach Steiermark („Die Presse“ ist Medien-Partner) wurden Grundlagen europäischer Werte diskutiert. Im Wieser Verlag ist dazu ein Begleitband der „Edition Geist & Gegenwart“ erschienen. Seine Herausgeber sind Herwig Hösele und Lojze Wieser.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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