Migration: Quoten für Schutzbedürftige

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Die Kommission will Griechenland und Italien entlasten und 40.000 Asylbewerber auf die restlichen EU-Mitglieder verteilen. Sie bietet 6000 € pro Flüchtling.

Brüssel. Tausche drei Syrer gegen zwei Eritreer – was nach einem schlechten Scherz auf Kosten der hilfsbedürftigen Menschen klingt, die in Europa Schutz vor Krieg und Gewalt suchen, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als eine Facette der europäischen Migrationsagenda. Am gestrigen Mittwoch präsentierte die EU-Kommission ihre ersten Vorschläge, wie die Union auf den explosionsartigen Anstieg der Flüchtlingszahlen reagieren sollte. Kernelement des Plans ist ein Quotensystem zur Umsiedlung von Asylbewerbern aus Syrien und Eritrea, die nach Italien und Griechenland strömen, auf alle EU-Mitgliedstaaten.

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Um dies zu ermöglichen, wird die Kommission erstmals in der EU-Geschichte den Artikel 78(3) der EU-Verträge aktivieren. Die darin enthaltene Notfallklausel sieht „vorläufige Maßnahmen“ zugunsten von Mitgliedstaaten vor, die sich „aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage“ befinden. Diese Notlage trifft nach Ansicht der Kommission derzeit auf Italien und Griechenland zu – in Italien sei die Zahl irregulärer Grenzübertritte im Vorjahr um 277 Prozent gestiegen, in Griechenland um 153 Prozent. Um Rom und Athen zu entlasten, sollen die restlichen Unionsmitglieder (mit Ausnahme Großbritanniens, Dänemarks und Irlands, die nicht zum Mitmachen verpflichtet sind) in den kommenden zwei Jahren insgesamt 40.000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea aufnehmen. Aufgeteilt werden Asylbewerber nach einem Schlüssel, der Bevölkerungszahl, Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarktlage und Zahl der Asylanträge umfasst (siehe Grafik). Österreich müsste demnach zusätzlich zu den laufenden Asylanträgen 728 Flüchtlinge aus Italien und 485 aus Griechenland aufnehmen.

Für jeden aufgenommenen Syrer und Eritreer stellt die Kommission pauschal 6000Euro zur Verfügung – insgesamt werden es also 240 Mio. Euro sein. Wer wohin zugeteilt wird, entscheiden die griechischen und italienischen Behörden – und zwar in Zusammenarbeit mit Verbindungsoffizieren aus den anderen EU-Ländern. Berücksichtigt werden beim Auswahlprozess Kindeswohl und Familienzusammenhalt, aber auch die Berufserfahrung der Flüchtlinge. Gibt es in einem Mitgliedstaat Bedarf für bestimmte Facharbeiter, können Asylwerber mit den entsprechenden Qualifikationen für die Umsiedlung ausgesucht werden – das System soll also auch als eine informelle Tauschbörse für Neuankömmlinge fungieren.

Stimmt der Rat zu?

Ob dieses System aber überhaupt in Kraft treten kann, muss sich noch weisen. Denn gemäß Artikel 78(3) hat der Rat über den Kommissionsvorschlag zu entscheiden. Aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten hagelte es bereits Kritik, doch im Rat wird nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit abgestimmt – die Skeptiker könnten also unter Umständen überstimmt werden. Tschechien sei nicht das Land, mit dem Menschen aus Afrika und den arabischen Ländern ihre Zukunft verbinden wollten, sagte gestern der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka. Und in Wien erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, sie werde „keiner zusätzlichen Belastung für Österreich“ zustimmen. Somit dürfte das kontroverse Thema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels Ende Juni gesetzt werden. Ungewiss ist auch das Schicksal des zweiten Vorschlags der Brüsseler Behörde. Die Kommission empfiehlt nämlich innerhalb der nächsten 24 Monate die EU-weite Neuansiedlung von 20.000 Menschen, die nach Kriterien des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR als eindeutig schutzbedürftig gelten. Dabei geht es um Personen, die noch nicht in der EU sind, somit gibt es keinen rechtlichen Rahmen für die Maßnahme. Ein solcher müsste – falls sich die EU-Mitglieder dazu überhaupt bereit erklären – erst ausgearbeitet werden. Nichtsdestotrotz hat die Kommission auch für diese 20.000 Personen einen zweiten Verteilungsschlüssel erstellt, der sich von der Umsiedlungsquote etwas unterscheidet, und bietet einen Zuschuss von 50 Mio. Euro an.

Liste verdächtiger Schiffe

Neben der Um- und Neuansiedlung mittels Quote umfasst die Brüsseler Migrationsagenda noch weitere Elemente: etwa einen Fünfjahres-Aktionsplan gegen Schlepper, der unter anderem die Erstellung einer Liste verdächtiger Schiffe im Mittelmeer vorsieht, die in weiterer Folge kontinuierlich überwacht werden sollen. Um die flächendeckende Abnahme von Fingerabdrücken der Neuankömmlinge zu gewährleisten (derzeit funktioniert die Erfassung nicht überall reibungslos), sollen Teams der EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie Europol-Experten die örtlichen Behörden unterstützen.

AUF EINEN BLICK

Notmaßnahme. Die EU-Kommission hat am Mittwoch ihren Gesetzesvorschlag für die Verteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland innerhalb Europas vorgelegt. Österreich müsste demnach 3,03 Prozent von ihnen, also insgesamt 1213 Menschen aufnehmen. Unklar ist, ob die EU-Regierungen im Rat den Vorschlag annehmen werden. Nötig ist eine qualifizierte Mehrheit. Osteuropäische Länder haben bereits ein Veto angekündigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2015)

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