Großbritannien: Cameron startet Charmeoffensive

Dutch Prime Minister Rutte speaks with his British counterpart Cameron  in The Hague
Dutch Prime Minister Rutte speaks with his British counterpart Cameron in The Hague(c) REUTERS (UNITED PHOTOS)
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Der Premier hat daheim Rückenwind in der Referendumsfrage, aber nicht bei den EU-Partnern.

London. Kaum im Amt bestätigt, startet der britische Premier, David Cameron, eine diplomatische Charmeoffensive bei Kurzbesuchen in den Niederlanden, Frankreich, Polen und Deutschland: Dort sprach er am gestrigen Donnerstag und heute, Freitag, mit führenden europäischen Partnern über eine Reform der EU. Schon im Vorfeld seines Besuchs aber wurde Widerstand gegen die Pläne des Premiers laut. Die französische Regierung will keine Rücknahme der gemeinsamen EU-Politik akzeptieren, sagte Außenminister Laurent Fabius. Das von Cameron geplante Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU – der Gesetzesentwurf wurde gestern in London eingebracht – nannte Fabius „gefährlich“.

Alle Anzeichen deuten ohnehin darauf, dass sich Cameron für die Mitgliedschaft seines Landes auf geänderter Grundlage einsetzen möchte. Die Fragestellung „Soll das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleiben?“ entspricht den Wünschen der Befürworter. Die Rolle des Ja-Lagers einzunehmen, bedeutet einen klaren psychologischen Vorteil, wie das Schottland-Referendum im Vorjahr gezeigt hat. „Niemand möchte gern als negativ gesehen werden“, sagt der Politologe Matt Qvortrup von der University of Coventry.

Die Tatsache, dass die EU-Volksabstimmung tatsächlich stattfinden wird, zwingt nun alle, Farbe zu bekennen. Besonders die Wirtschaft macht mobil. Der Chef der britischen Niederlassung von Airbus, Paul Kahn, warnte zuletzt vor „enormen Auswirkungen“ eines britischen EU-Austritts. Bis zu 200.000 Jobs wären allein in Wales in Gefahr. Mit 16.000 Mitarbeitern ist der Flugzeughersteller der mit Abstand größte Arbeitgeber in der strukturschwachen Region. Der Industrieverband CBI will im Werben für einen Verbleib in der EU „den Ton nun lauter drehen“. Jeder britische Haushalt würde bei einem Brexit im Jahr 3000 Pfund verlieren, warnt die Interessenvertretung. Hinter den Kulissen hat Cameron die EU-Operation auf professionelle Basis gestellt. Nomineller Leiter der Gespräche mit Brüssel ist der laut Insidern „ultra-pragmatische“ Schatzkanzler George Osborne, dessen erstes Ziel ein Verbleib in der EU bei maximalem Schutz des Bankenplatzes London gegenüber der Eurozone ist.

Die Detailgespräche führen hingegen Camerons Stabschef, Ed Llewelyn, und sein Europa-Berater, Tom Scholar, zwei Proeuropäer. Mit der Regierungsumbildung holte sich der Premier mit Thinktank-Experten wie Mats Persson aber auch frisches Blut in die Downing Street. Die Dynamik ist derzeit eindeutig aufseiten des Premierministers. Mit 45 zu 35 Prozent ist eine klare Mehrheit für den Verbleib in der EU. Folglich wird dieser Tage keine Frage heftiger diskutiert als der Zeitpunkt, wann die Volksabstimmung stattfinden wird. In der Regierungserklärung heißt es „...vor Ende 2017“. Das schließt ein früheres Referendum nicht aus.

Nein-Lager hat keine Position

Unübersehbar ist, dass Cameron derzeit Rückenwind hat. Das Nein-Lager hat weder eine Position noch ein Programm noch eine Führung. Der bekannteste Protagonist der EU-Gegner ist der umstrittene Rechtspopulist Nigel Farage, der nicht mehrheitsfähig ist. Zudem finden 2017 in Frankreich und Deutschland Wahlen statt, und viele in Europa wollen schon zuvor die britische Frage gelöst sehen.

Umgekehrt bedeutet ein rasches Referendum aber „keine Zeit für tiefgreifende Reformen und damit die Verschwendung einer riesigen Gelegenheit“, wie etwa Cameron-Berater Persson warnt. Auch die Lobbygruppe Business for Britain meint: „Zuerst brauchen wir Reformen, daher ist es wichtig, dass wir nicht unter Zeitdruck in eine Volksabstimmung hetzen.“ Ein überstürztes Referendum kurz nach Aufnahme ernsthafter Gespräche würde die Regierung vor allem vor ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem stellen. Wie sollen die Briten überzeugt werden, dass nun tatsächlich eine substanzielle und dauerhafte Neuordnung der Beziehungen zwischen London und Brüssel vereinbart wurde?

Justizminister Michael Gove warnt pathetisch vor Schnellschüssen: „Die Geschichte wird uns nicht verzeihen, wenn wir das nicht richtig hinkriegen.“ Bis heute gibt es keine festen Positionen, sondern nur wechselnde Forderungen wie bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, den Sozialleistungen für Ausländer oder dem Bürokratieabbau. Cameron hat offenbar aus dem Schottland-Referendum Lehren gezogen und ist bemüht, gut vorbereitet in die EU-Volksabstimmung zu gehen. Dazu gehören neben dem politischen Momentum überzeugende Argumente. Ein „quick win“ durch Vorziehen der Abstimmung bleibt eine Option, die er in einem opportunen Moment ziehen könnte.

AUF EINEN BLICK

Die britische Regierung hat am Donnerstag die Vorbereitungen für das geplante EU-Referendum eingeleitet. Premierminister David Cameron startete zeitgleich eine Tour durch EU-Hauptstädte, um die Partner von der Notwendigkeit zu überzeugen, die EU-Verträge zu ändern.

Bis spätestens Ende 2017 sollen die Briten nach Angaben der Regierung die Frage beantworten: „Soll das Vereinigte Königreich Mitglied in der Europäischen Union bleiben?“ Mit der nun vorgestellten Frage will Cameron beim Referendum das Ja-Lager besetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)

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