Jean-Claude Juncker: Schlitzohr mit robustem Charme

Juncker genießt sein Amt sichtlich
Juncker genießt sein Amt sichtlichREUTERS
  • Drucken

Sechs Monate ist der neue EU-Kommissionspräsident im Amt. Er hat in Brüssel einiges verändert. Manches sind aber nur politische Nebelbomben.

Zum Jubiläum ist er fast nicht zu bändigen. Sechs Monate nach seinem Amtsantritt scherzte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor wenigen Tagen beim Gipfel zur östlichen Nachbarschaft mit vielen der anwesenden Politiker: Viktor Orbán bezeichnete er als „Diktator“, gab ihm für seine jüngsten Aussagen eine symbolische Ohrfeige; Alexis Tsipras, der stets mit offenem Hemd auftritt, versuchte er seine Krawatte aufzudrängen. Er blödelte mit David Cameron, François Hollande und Matteo Renzi. Nur bei Angela Merkel blieb er reserviert.

Mit dem ehemaligen Luxemburger Ministerpräsidenten hat sich in Brüssel und bei hochrangigen EU-Treffen einiges geändert. Junckers robustem Charme kommen nur die wenigsten aus. Er kann sich leisten, Probleme beim Namen zu nennen, Differenzen auszutragen. Nach einem halben Jahr hat er sein neues Amt und alle, die von ihm abhängig sind, fest im Griff.

Jean-Claude Juncker ist ein politisches Schlitzohr, mit allen Wassern gewaschen. Er kann es ehrlich, offen, aber auch hinterlistig. Machtstreben gehört zu seinem Selbstverständnis. Deshalb ließ er auch nie einen Zweifel daran, dass er sich nicht als Verwaltungsschef der EU sieht wie sein Vorgänger José Manuel Barroso, sondern eher als Regierungschef. Er hat sich seine eigene Große Koalition in den EU-Institutionen gezimmert. Regelmäßig heckt der Christdemokrat gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten, Martin Schulz, seinem Vizepräsidenten, Frans Timmermans, und dem Fraktionschef der Sozialdemokraten, Gianni Pittella, sowie dessen christdemokratischen Kollegen, Manfred Weber, die wichtigsten Entscheidungen aus. Vor allem will er seinen Investitionsplan mit der mittlerweile berühmt gewordenen Hebelung auf 315 Milliarden Euro durchsetzen. Für diesen Plan treibt er auch in der Kommission die Beamten an. Er wolle Ergebnisse sehen, und die rasch, heißt es aus Brüssel.

Juncker kennt die politischen Spielregeln. Er weiß, was er öffentlich sagen muss, was nicht. „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob etwas passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter“, sagte er bereits vor Jahren über das politische Spiel in den EU-Institutionen. Jetzt spielt er selbst auf diesem Klavier. Und er weiß auch, wie man politische Nebelbomben einsetzt. Nachdem sein eigenes Land und damit er selbst wegen wettbewerbsverzerrender Steuerdeals in die Schlagzeilen geraten waren, kündigte er europaweite Gegenmaßnahmen an. Seine Kommission warb plötzlich für Mindeststeuersätze bei Unternehmenssteuern. Juncker muss wissen, dass er damit ein Tabu bricht, dass ein solche Regelung von einigen Ländern in Osteuropa, allen voran aber von Großbritannien missbilligt wird. In Steuerfragen gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Der Vorschlag hat überhaupt keine Chance, Realität zu werden, aber Junckers Engagement um Sauberkeit in dieser heiklen Frage ist damit Genüge getan.

Wirtschaftsfreundliche Prioritäten

Verzettelten sich seine beiden Vorgänger, Romano Prodi und José Manuel Barroso, regelmäßig in allzu vielen Einzelthemen, setzt Juncker auf klare Prioritäten. Er will mit aller Kraft das Wachstum ankurbeln. Als ehemaliger Euro-Gruppen-Chef weiß er genau, wo es in der EU krankt, wo Geld versickert, statt in dringend notwendige Investitionen zu fließen. Er weiß, dass Europa nun einen anderen Weg gehen muss, als die Wirtschaft über neue Schulden zu stimulieren. Juncker, so versichern viele in seinem Umfeld, will das Klima für Unternehmen verbessern. Dafür möchte er die Last an Auflagen reduzieren. Das ist nicht immer populär. So versucht die neue Kommission unter Argusaugen der Grünen bei Klimaschutzauflagen und Verpflichtungen zur Kreislaufwirtschaft (Recycling von Rohstoffen) zurückzurudern.

Für Störenfriede bei seinem wirtschafts-freundlichen Kurs hat Juncker freilich nicht viel übrig. Sein Charme wechselt in bitteren Sarkasmus, wenn er das Gefühl bekommt, jemand torpediere schwierige Verhandlungen. Im Fall des Freihandelsabkommens mit den USA rügt er jene Regierungschefs, die sich einst in Brüssel für das Abkommen ausgesprochen hatten, sich nun aber daheim an der populistischen TTIP-Kritik beteiligen. Im Fall von Griechenland tadelt er den Athener Finanzminister: „Er hilft dem Prozess nicht“, sagt Juncker. „Varoufakis ist der Finanzminister eines Landes, das großen Problemen gegenübersteht. Er macht nicht den Eindruck, als ob er das wüsste.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.