Wie die Eurozone saniert werden soll

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Geld für Reformen: Die Spitzen der EU-Institutionen sprechen sich für eine Vertiefung der Währungsunion bis 2019 aus.

Brüssel. Sie sind so etwas wie das Dream Team der Europapolitik: Jean-Claude Juncker, Donald Tusk, Martin Schulz, Jeroen Dijsselbloem und Mario Draghi. Die fünf Herren, die an der Spitze der wichtigsten europäischen Institutionen – EU-Kommission, Rat, Europaparlament, Euro-Gruppe und Europäische Zentralbank – stehen, wurden im Oktober 2014 von den Mitgliedstaaten der Union damit beauftragt, sich über eine grundlegende Reform der krisengeschüttelten Eurozone Gedanken zu machen. Das Ergebnis dieser Überlegungen, auch Fünf-Präsidenten-Bericht genannt, soll beim EU-Gipfel am 25. Juni offiziell vorgestellt werden – und das präsidiale Quintett empfiehlt den Euro-Mitgliedern nichts weniger als die Umwandlung der Währungszone zu einer echten fiskal- und wirtschaftspolitischen Union, und zwar bereits innerhalb der nächsten vier Jahre. Es gehe darum, die „effektive Souveränität“ der Mitgliedstaaten zu erhöhen, auch wenn dies auf Kosten der „formalen Souveränität“ gehe, heißt es im Entwurf des Berichts, der der „Presse“ vorliegt.

Der Verweis auf die Souveränität ist der europäischen Schuldenkrise im Allgemeinen und der Causa Griechenland im Speziellen geschuldet – also der traumatischen Erfahrung, dass Probleme in einem Mitgliedstaat den Fortbestand der gesamten Eurozone gefährden können. Allerdings haben die jüngsten Erfahrungen mit der Regierung in Athen auch eindrücklich demonstriert, dass Reformdruck von außen nicht immer positive Resultate beschert. Um den Vorwurf einer von Brüsseler Muftis oktroyierten Aufgabe der nationalen Selbstbestimmung zu entkräften, wollen die Studienautoren die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion möglichst freiwillig gestalten. Vereinfacht ausgedrückt soll der Prozess folgendermaßen über die Bühne gehen: Analog zu den Maastricht-Kriterien sollen neue Konvergenzkriterien ausgearbeitet werden. Jene Euro-Mitglieder, die diese erfüllen, werden mit dem Zugang zu sogenannten Schockabsorptionsmechanismen (ein neuer Name für die alte Idee eines separaten Budgets für die Eurozone) belohnt.

Die detaillierte Ausgestaltung dieser Mechanismen überlassen die fünf Präsidenten den Experten – als Idee wird in ihrem Bericht die Schaffung eines europäischen Rückversicherers für die nationalen Sozialversicherungsanstalten genannt. Diese EU-Polizze soll greifen, wenn in einem Euro-Mitglied die Arbeitslosigkeit derart massiv ansteigt, dass sie die Solvenz der nationalen Arbeitslosenversicherung gefährdet. Zur Beruhigung der Nettozahler halten die Autoren fest, dass dieses Instrument nicht „zu permanenten bzw. einseitigen Transfers“ innerhalb der Eurozone führen dürfe. Um zu verhindern, dass etwa die deutschen Steuerzahler auf Dauer das Sozialsystem eines anderen Landes mitfinanzieren, soll der Zugang an die Erfüllung der bereits erwähnten Konvergenzkriterien geknüpft sein – als mögliche Maßstäbe im Bereich der Arbeitsmarktpolitik werden Maßnahmen zur Weiterbildung der Arbeitnehmer, flexible Arbeitsverträge und eine moderne Lohnsteuer genannt.

Als Vorbilder sollen dabei jene EU-Mitglieder gelten, die es geschafft haben, „Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt“ zu vereinen: eine Beschreibung, die vor allem auf Deutschland zutrifft. Gänzlich aus der Pflicht entlassen wollen die fünf Autoren die größte Volkswirtschaft der Eurozone allerdings nicht: Eine neu zu schaffende Behörde zur Überwachung der Wettbewerbsfähigkeit solle dafür sorgen, dass sich „Gehälter parallel zur Produktivität entwickeln und mit den Trends in den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone vergleichbar sind“ – eine unbequeme Forderung angesichts der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands in den vergangenen Jahren auch auf bescheidenen Lohnansprüchen der deutschen Arbeitnehmer beruht haben.

Wenig Begeisterung zu erwarten

Damit wären wir beim Kernproblem angelangt: Die Bereitschaft der Auftraggeber und Adressaten des Berichts, die darin enthaltenen Forderungen tatsächlich umzusetzen, tendiert gegen null. In einem deutsch-französischen Positionspapier zur Reform der Wirtschafts- und Währungsunion, das als Diskussionsbasis für den Juni-Gipfel fungieren soll und der „Presse“ vorliegt, ist lediglich von europapolitischen Evergreens wie der Schaffung einer Energieunion, dem geplanten EU-Investitionsfonds EFSI, dem Kampf gegen Steueroptimierung sowie häufigeren Treffen der Euro-Mitglieder die Rede – und nicht von neuen Durchgriffsrechten für die EU. Was darauf hinweist, dass die fünf Präsidenten am 25. Juni für ihre Anstrengung in höchsten Tönen gelobt werden – und das Ergebnis ihrer Arbeit anschließend in einer großen Schublade verschwindet.

In dieser Brüsseler Gleichung gibt es aber eine Unbekannte: David Cameron. Der britische Premier will bis spätestens 2017 das Verhältnis seines Landes zur EU neu verhandeln – was das Aufschnüren der EU-Verträge zur Folge haben könnte. In weiser Voraussicht haben die fünf Präsidenten ihren Fahrplan in zwei Etappen aufgeteilt: Im ersten Abschnitt, bis Mitte 2017, soll auf Basis bestehender Verträge gearbeitet werden. Erst ab dem 1. Juli 2017 solle „die Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion vollendet“ werden. Die nicht artikulierte Hoffnung: Camerons Vabanquespiel könnte in zwei Jahren das Unmögliche doch noch möglich machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2015)

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