Stillstand: Danke, genug!

Müssen wir ständig konsumieren?
Müssen wir ständig konsumieren?(c) Teresa Zötl
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Die Krise gibt es anderswo. In Griechenland. Hier bei uns herrscht nur Stillstand. Aber auch diese Stagnation hat unser Leben verändert. Nicht ganz so schlimm, aber doch. Ein Essay.

Jetzt hat die Krise sogar ein eigenes Lied. Sie läuft andauernd im Radio, hat es in die Hitparaden geschafft. Nicht ganz nach oben, aber immerhin. Zumindest auf „Wolke4“. So heißt der Song des 24-jährigen Berliners Philipp Dittberner. „Lieber Wolke vier mit Dir als unten wieder ganz allein“, singt er. Das romantisch-naive Liebeslied handelt nicht von der großen Liebe, sondern von der Sicherheit auf „Wolke 4“. Wir sind alle auf Wolke vier gelandet. Seit 2008 stecken wir fest. Stillstand. Andere sind aus allen Wolken gefallen. Die Griechen, die Spanier und Portugiesen.

Am Anfang war das Wort Krise. Es hat schnell seinen Schrecken verloren. Es wurde und wird so oft verwendet, dass wir uns einen Tag, an dem wir nicht die Krise haben, gar nicht mehr vorstellen können. Das nennt man dann wohl rhetorische Hyperinflation. „Die Krise ist bei uns nicht angekommen“, sagen deshalb viele. Irrtum. Sie ist mitten unter uns. Und sie hat einen Namen und ein Gesicht.

Fritz hat die Krise. Er ist zehn Jahre alt, und er wird mittlerweile von seinen Schulfreunden immer seltener auf Geburtstagspartys eingeladen. Vielleicht liegt es daran, dass sich seine Eltern das ganze Kinderparty-Getöse nicht mehr leisten können? Und er schenkt auch nicht so coole Sachen her wie seine Klassenkameraden. Unlängst hat sogar eine Mutter zu seiner Mutter gesagt: „Es ist völlig ok, wenn Fritz nichts mitbringt.“

Für die katholische Privatschule reicht es, muss es reichen. Für die kleine Mietwohnung in Wien Mariahilf auch. Aber seit sein Vater in die „Beratungsbranche“ gewechselt hat, ist Fritz das einzige Kind in der Klasse, das im Sommer nicht auf Urlaub fährt. Daran erkennt man die Krise. Sie hat sich in die Innenstädte, in die Josefstadt, in Neubau, in Mariahilf eingeschlichen. Ganz heimlich.

Fritz wäre gern auf Wolke vier. Erwin ist es. Der 37-Jährige hat seit fünf Jahren denselben Job. Nach dem Wirtschaftsstudium war alles easy. Das war auch vor mehr als zehn Jahren. Da hatte er jedes Jahr eine Gehaltserhöhung oder einen neuen Job. Aber mittlerweile ist er „zufrieden“. Vor zwei Jahren habe er sogar eine Beförderung abgelehnt. „Und es war gut so“, sagt er. Denn der, den sie statt seiner genommen haben, sei mittlerweile „ Geschichte“.


Wolke vier. Ökonomen strapazieren oft das Wort Investitionszurückhaltung. Wir begegnen ihr überall. In den Unternehmen, in der Karriereplanung, sogar in der Liebe. Eine Investition ist bis zu einem bestimmen Grad immer eine Wette auf die Zukunft. Ohne Hoffnung, ohne Zuversicht geht diese Wette keiner mehr ein.

Gregor ist Unternehmer. In zehn Jahren wird er seinen Betrieb möglicherweise seinem Sohn übergeben. „Möglicherweise“, sagt er. Baunebengewerbe, mehrere Standorte in Oberösterreich, 70 Mitarbeiter. Schon als Teenager war er der „junge Chef“. Heute hört er nicht gern, wenn seine Leute seinen 14-jährigen Sohn mit „Juniorchef“ anreden. „Vielleicht wird aus ihm ein Arzt“, sagt er. Gregor hat sich vorgenommen, seinen Betrieb zu verkleinern. Seit Jahren baut er Mitarbeiter ab. Stellt keine neuen mehr ein, wenn Leute in Pension gehen oder das Unternehmen verlassen. 30 bis 40 Leute sollen es am Ende sein. In den „besten Zeiten“ waren es 100. Er will nicht mehr jeden Auftrag annehmen müssen. Jeden Subauftrag. Er ist bei der Alpine-Pleite mit einem blauen Auge davongekommen. Andere hat's schlimmer erwischt. Jetzt geht es darum, ein gesundes Unternehmen zu hinterlassen. Und wenn der Sohn nicht will? Man müsse auch einmal sagen: „Danke, genug“, sagt Gregor.

„Danke, genug!“ Das klingt doch richtig sympathisch. Man kann ja aus der Not eine Tugend machen. Müssen wir immer weiter wachsen? In den TV-Talkshows und an den Stammtischen, die heute Twitter und Facebook heißen, ist die Antwort längst gefallen. Globalisierungsgegner wie die Kanadierin Naomi Klein erklären uns, warum der Kapitalismus unseren Planeten zerstört. Und viele Argumente der „Danke, genug“-Fraktion sind einleuchtend. „Wir haben doch längst alles, was wir brauchen!“ Auf Gregor, den Unternehmer, trifft es zu. Wenn er in ein paar Jahren „Danke, genug“ hat, werden ein paar Dutzend Menschen ihren Job verlieren.

Vor 15 Jahren hätte sich Gregor nicht träumen lassen, dass es ihm so wenig ausmachen könnte, den Familienbetrieb zuzusperren. Das waren andere Zeiten. Damals sang Bryan Adams von „Cloud Number Nine“.
Lukas geht mit Fritz in die Klasse. Wenn er von seinem Papa erzählt, merkt man nicht, dass Lukas in Polen geboren wurde. Sein Deutsch ist sehr gut. „Der Papa kann nicht so gut Deutsch“, erzählt er. Dafür kann Papa sonst so ziemlich alles. Wenn er gefragt wird, was sein Vater von Beruf ist, sagt er: „Bauarbeiter, Fliesenleger, Tapezierer, Elektriker...“


Pleite. Sein Vater hat in den Jahren, in denen er in Österreich ist, schon für viele Baufirmen gearbeitet. Manche ist pleitegegangen. Zwischendurch war er immer wieder selbstständig, einmal sogar ganz offiziell. Wenn es eine Firma „erwischte“, war es immer das Gleiche: Die Arbeiter hatten schnell wieder einen Job. Schlimmer war es für jene in der Verwaltung. „Das Problem der heutigen Politik ist, dass sie für die Leute nichts mehr tun kann“, sagt der Gewerkschaftsfunktionär. Früher habe man marode Firmen aufgefangen. „Heute hast du sofort die Wettbewerbsbehörde am Hals.“ Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen. „Und dann lesen sie von Bankenrettung und Flüchtlingshilfe und fragen sich: ,Und wer hilft mir?‘“

Noch nie hat der Staat so viel „geholfen“ wie heute. Sollte dieser Hüpfburg namens Sozialstaat irgendeinmal tatsächlich die Luft ausgehen, wird am Eingang stehen: „Wegen des großen Erfolgs geschlossen!“ Jetzt steht die Hüpfburg im Schulhof. Sommerfest. Fast alle Väter sind da. Hätten sich ihre Väter einst dafür Zeit genommen? Nein, sie haben am Wochenende das Haus gebaut. Und statt der Hüpfburg gab es einen Sandhaufen, und neben dem Sandhaufen lief die Mischmaschine. Und immer dieselbe Leier, immer derselbe Satz, wenn wieder keine Zeit war für die Kinder: „Euch soll es einmal besser gehen.“ Zu den Kindern in der Hüpfburg heute sagt das keiner mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2015)

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