Cameron lotet Pläne für EU-Reform beim Gipfel aus

British Prime Minister Cameron arrives at EU Council headquarters for EU leaders summit in Brussels
British Prime Minister Cameron arrives at EU Council headquarters for EU leaders summit in Brussels(c) REUTERS (DARREN STAPLES)
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Trotz der Griechenland-Krise macht der britische Premier seine Forderungen beim Ratstreffen zum Thema. Vor allem eine Neuverhandlung der Freizügigkeit ist für die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs weiterhin keine Option.

Angesichts des griechischen Dramas macht sich die britische EU-Zukunft dieser Tage fast wie eine Kleinigkeit aus. Alle Umfragen zeigen zurzeit eine solide Mehrheit für die Mitgliedschaft (66 Prozent Ja-Stimmen laut Ipsos Mori in der Vorwoche), und Premierminister David Cameron hat seit seinem Wahlsieg im Mai klar die Führung übernommen. Auch wenn es wegen Griechenland ein wenig „so aussieht, als würde man sich einen Liter Milch vom Nachbarn ausborgen, während dessen Haus brennt“, wie der britische Channel 4 spöttelte, hatte Cameron beim gestern begonnenen EU-Gipfel über seine Vorhaben Bericht erstattet.

Seit Anfang Mai hat der konservative Premier mit 20 seiner 27 EU-Amtskollegen direkt gesprochen, um seine Pläne zu einer EU-Reform auszuloten. Nach Angaben der BBC hat er seine Forderung nach einer EU-Vertragsänderung vor dem geplanten britischen EU-Referendum bis Ende 2017 aber nun fallen gelassen. Cameron wolle stattdessen eine "unumkehrbare Sicherheit" und "rechtlich bindende" Garantien, dass EU-Recht in der Zukunft geändert werde, meldete der Sender ohne Quellenangabe am Donnerstag auf seiner Website. 

Zuletzt traf er im Windschatten des Besuchs von Queen Elizabeth in Deutschland erneut mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin zusammen. Auf die starke Frau Europas baut London, und sie sagte Cameron zuletzt öffentlich Unterstützung zu: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Unklar bleibt vorerst allerdings, wohin der Weg überhaupt führen soll. Cameron steht unter massivem Druck seiner Hinterbänkler, unter denen sich entschiedene EU-Gegner befinden: Er soll seine Verhandlungsziele offenlegen, fordern sie. „Wir wüssten schon gern, was der Herr Premierminister eigentlich vorhat“, sagte kürzlich der ehemalige Verteidigungsminister Liam Fox. Aus Camerons Umfeld hingegen verlautet, der Premier werde „sich nicht in die Karten schauen lassen“.

„Rosinenpicken kann es nicht geben“

Zuletzt scheiterte die Regierung am Widerstand des Parlaments bei der Bemühung, den 5. Mai 2016 als Tag für die Volksabstimmung als Option festzuhalten. Jetzt wird mit dem Referendum im Herbst 2016 gerechnet. Umstritten ist im Oberhaus auch noch eine von den Konservativen abgelehnte Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Ungeachtet dessen ist die Verabschiedung des Gesetzes über die Volksabstimmung aber sicher. Mit seiner Taktik hofft Cameron einerseits zu vermeiden, dass ihm die EU-Partner seine Wunschliste zerpflücken. Andererseits will er alles tun, um jedes Verhandlungsergebnis zu Hause als Erfolg zu verkaufen.

Als Ziele Londons genannt werden Änderungen bei der Zuwanderung von EU-Bürgern, Sicherheiten für die Nicht-Euro-Mitglieder in der EU, ein Opt-out der Briten vom Ziel der „immer enger zusammenwachsenden Union“ und eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft durch eine Reform der EU-Verwaltung. Während aber niemand etwas gegen einen Rückbau des europäischen Paragrafendschungels hat, stößt Cameron mit Forderungen einer Rücknahme der Freizügigkeit bisher auf Granit.

Während Deutschland demonstrativ bemüht ist, den Briten mit Entgegenkommen einen Verbleib in der EU zu ermöglichen, kommen aus Frankreich ebenso deutlich gegenteilige Worte. „Ein Rosinenpicken kann es nicht geben“, sagte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron gestern der BBC. „Ich verstehe nicht, wie die Briten sagen können, sie hätten all die positiven Aspekte der EU-Mitgliedschaft, wollten aber keines der Risken übernehmen.“ Das Wesen der EU sei eine „gemeinsame Verantwortung“, erinnerte Macron.

Kein Gespräch mit Faymann

Noch nicht gesprochen hat Cameron mit Bundeskanzler Werner Faymann. Zwischen London und Wien hängt der Hausfrieden wegen der österreichischen Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Genehmigung staatlicher Beihilfen für den Bau des britischen AKW Hinkley Point C schief. Die EU-Kommission hat im Oktober Subventionen für das Kraftwerk genehmigt.

Bei einem Besuch des britischen Außenministers, Philip Hammond, in Wien hat sein österreichischer Amtskollege Sebastian Kurz vor zwei Wochen allerdings erstmals Verständnis für die Londoner Forderungen einer Änderung der Sozialhilfe für EU-Zuwanderer signalisiert. Die Briten wollen künftig keine Beihilfen mehr für Familien zahlen, die nicht im Inland leben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2015)

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